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Scherbenparadies

Scherbenparadies

Titel: Scherbenparadies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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und trank im Vorraum am Waschbecken Wasser aus der hohlen Hand. Als sie sich aufrichtete und in den Spiegel sah, entdeckte sie darin Lauras ausgemergeltes Gesicht. Die Haut bleich und trocken. Der Lippenstift zu grell und etwas verschmiert. Die Wimpern schwer von Tusche. Die kurzen Haare stumpf. Ihre Mutter stand direkt hinter ihr.
    Sandra fuhr herum. »Mama. Da bist du ja.« Irgendwie war sie erleichtert. Laura schien nüchtern zu sein. »Was machst du denn hier?«, nuschelte sie.
    »Ich hab dich gesucht. Wie geht es dir?«
    »Was ist denn das für eine Frage?«
    Bleib ruhig, ermahnte Sandra sich. »Können wir irgendwo reden?« Die Toilette erschien ihr nicht passend. Obwohl sie wenigstens Ulf-frei war. Das Gespräch mit Laura würde auch ohne seine Einmischung schon schwierig genug werden.
    Laura zuckte mit den Schultern. »Gehen wir zur Saftbar.«
    »Okay.« Sandra folgte ihrer Mutter zu einem Stand, an dem man Säfte, Salate und Sandwiches kaufen konnte. Laura steuerte einen der Stehtische an, die etwas abseits standen, und lehnte sich daran.
    »Wie geht es dir?«, wiederholte Sandra ihre Frage.
    »Wie soll es mir schon gehen? Gut natürlich.«
    »Daheim liegt ein Stapel Post für dich.«
    »Wird eh nur Mist sein.«
    »Zwei Briefe der Arbeitsagentur sind dabei. Soll ich sie dir bringen?«
    Ein schiefes Grinsen erschien auf Lauras Gesicht. »Ich komme morgen und hol sie.«
    »Sagst du mir, wo du jetzt wohnst?«
    Mit einer Hand fingerte Laura ein Päckchen Zigaretten aus der Hosentasche. »Was ist denn das für eine blöde Frage? Ich wohne bei euch. Zahle ich die Miete oder nicht? Ich bin eure Mutter. Nur weil ich ab und zu bei Ulf übernachte, machst du so ein Trara.«
    »Ab und zu? Mama! Wann hast du das letzte Mal in unserer Wohnung übernachtet? Das ist Wochen her. Es geht doch gar nicht darum, wo du schläfst. Wir brauchen dich. Ich schaffe das nicht allein.«
    Laura schob die Zigarette wieder zurück in die Packung. Im Einkaufszentrum herrschte Rauchverbot. »Bin gleich wieder da.« Und weg war sie. Sandra sah ihr nach, hörte, wie Laura an der Theke einen Schnaps bestellte. Kurz darauf kam sie mit dem Glas in der Hand zurück. In einem Zug leerte sie es.
    »Mama. Du brauchst Hilfe.«
    »Ich? Hilfe?« Lauras trockenes Lachen ging in ein Husten über. »Mach dir keine Sorgen um mich. Mir geht es blendend.«
    »Ja. Super. Wenn du genügend Alk intus hast, dann geht es dir für fünf Minuten gut und für fünf Stunden schlecht. Du musst eine Entziehungskur machen.«
    Im Bruchteil einer Sekunde verwandelte sich Lauras bisherige Gelassenheit in Zorn. Ihre Augen wurden schmal, ihr Mund verzog sich zu einem grellen Strich. Mit der Hand fuhr sie über den Tisch, fegte das Glas zu Boden. Klirrend zersprang es direkt vor den Füßen eines vorbeigehenden Mannes in tausend Scherben. Sandra zuckte zusammen. Der Mann schüttelte den Kopf und sah zu, dass er wegkam. »Du unverschämte Göre«, zischte Laura. Ihre Augen funkelten. »Sag so etwas nie wieder. Und wenn es dich beruhigt: Morgen komme ich heim und koche, wasche und putze für meine kleinen Mädchen, wisch euch den Arsch ab und singe euch ein Gute-Nacht-Lied. Und bis dahin wirst du ja mal auf deine kleine Schwester aufpassen können. Das ist wohl nicht zu viel verlangt.«
    Okay. Das konnte sie sich abschminken. Es würde alles an ihr hängen bleiben. Eine unsichtbare Hand drückte Sandra den Hals zu, Tränen traten ihr in die Augen. Fassungslos starrte sie ihre Mutter an. Ein Duell mit Blicken. Laura gewann.
    »Gib mir wenigstens Geld, damit ich was zu essen kaufen kann.«
    Ihre Mutter zog den Geldbeutel hervor, kramte darin herum und reicht Sandra schließlich fünf Euro. »Mehr habe ich jetzt nicht. Das reicht bis morgen. Morgen bin ich da. Versprochen, Süße.« Es klang versöhnlich. Doch Sandra wusste, Laura würde nicht kommen. Sie war auf der Flucht vor der Verantwortung, auf der Flucht vor ihren Problemen, auf der Flucht vor sich selbst. Niemals, niemals, niemals würde sie so werden wir ihre Mutter. Sandra riss ihr den Schein aus der Hand und machte auf dem Absatz kehrt. »Danke könntest du wenigstens sagen«, rief ihr Laura hinterher.
    Wütend stapfte Sandra davon. Der Schein klebte in ihrer Hand. Für heute reichte das. Aber nicht übers Wochenende. Sie konnte Vanessa nicht ständig bei Öczans an den Tisch setzen und außerdem brauchte auch sie mal was zu essen. Sie brauchte Geld. Doch woher nehmen?
    Wie aus dem Nichts kam der rettende Gedanke.

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