scherbenpark
verschwimmen beginnt und von Vadims Gesicht abgelöst wird. Jetzt ist wieder so einer da, denke ich. Mein Gott, Weiber, geht es nicht ohne? Warum könnt ihr euch nicht selber genug sein? Warum wollt ihr von einem wie Grigorij oder Vadim angefasst werden? Was ist das für ein Masochismus auf dem X-Chromosom?
Ich höre, wie es an der Tür klingelt und Antons helleStimme in die Stille bricht. Eine halbe Stunde später kommt Alissas Gekreisch dazu.
Ich ziehe die Decke herunter und sehe den Telefonhörer auf meinem Schreibtisch.
Ich habe schon seit einer Stunde daran gedacht und den Gedanken wieder fortgejagt. Ich weiß gar nicht genau, warum ich das tun soll. Ich sage mir – wegen Grigorij. Ich kann mich nicht mit seiner Anwesenheit abfinden. Vielleicht ist das gut für Maria und auch nicht schlecht für Anton und Alissa. Aber ich halte es nicht aus.
Ich streiche das weiße Rechteck auf meinem Knie glatt und wähle die Ziffern, die von Hand geschrieben sind. Am wenigsten habe ich jetzt Lust auf ein Gespräch mit der Sekretärin.
Ich lasse es ziemlich lange klingeln. Ich beschließe bereits aufzulegen. Wenn sich gleich die Mailbox einschaltet, werde ich die Ansage hören und es später noch mal versuchen. Falls mich bis dahin nicht der Mut verlässt.
Und dann meldet er sich. Die zwei Silben seines Nachnamens spricht er in einem Atemzug aus, als wäre er gerade gerannt.
»Guten Abend«, sage ich, von einer Welle der Verlegenheit überrollt.
»Ja?«
»Hier ist Sascha Naimann«, sage ich. Jetzt ist es passiert. Jetzt kann ich nicht mehr auflegen, ohne mein Gesicht vollends zu verlieren.
Dann kommt ziemlich lange gar nichts. Ich kratze mit dem Nagel auf dem Visitenkärtchen herum undbelege mich mit allen mir bekannten Flüchen. Bevor ich damit fertig bin, ist die Stimme wieder da, lauter und ruhiger.
»Sascha? Das ist ja eine Überraschung. Jetzt kann ich sprechen.«
Ich vergesse, was ich sagen wollte.
»Alles in Ordnung?« fragt er freundlich. »Sind Sie noch dran?«
»Ja«, sage ich. »Es ist . . . wegen Ihrem Vorschlag.«
»Wegen meinem was?«
»Sie haben gesagt, ich kann mich melden, wenn ich ein Problem habe.«
»Ach so«, sagt er. »Ja, natürlich. Was haben Sie für ein Problem?«
»Ich kann nicht zu Hause bleiben«, sage ich entschieden.
»Warum nicht?« fragt er erstaunt.
»Hat sich so ergeben«, sage ich.
»Aha. Und was kann ich für Sie tun?«
Ich atme tief ein. »Ich brauche eine Bleibe«, sage ich.
»Ich muss hier weg, zumindest für ein paar Tage.«
Jetzt schweigt er ziemlich lange. Ich zähle – bis zehn, bis 15, bei 17 ist er wieder da.
»Dachten Sie«, fragt er, »an ein Hotel?«
»Ist mir egal«, sage ich, schließe die Augen und beginne ein stummes, wirres Gebet. Obwohl ich ungläubig bin.
»Oder möchten Sie . . . ich will Ihnen wirklich nicht zu nahe treten, ich versuche bloß zu verstehen, was Sie meinen . . . Könnten Sie sich vorstellen, bei mir unterzukommen?«
Ich öffne die Augen und unterdrücke den gerade aufkommenden Schluckauf. »Ich kenne Ihre Wohnverhältnisse nicht«, sage ich. »Sagen Sie ruhig, wenn Sie meine Bitte zu blöd finden. Es ist mir egal, wo ich hinkann, Hauptsache, ich muss nicht zu Hause schlafen.«
»Ein Gästezimmer haben wir«, sagt er, und das »wir« schneidet mir schmerzhaft ins Ohr. »Ich möchte wirklich sichergehen, dass ich Sie nicht missverstehe. Wenn Sie eine Unterkunft suchen und mich um Unterstützung bitten, wäre es aus meiner Sicht recht naheliegend, aber es gibt auch andere Möglichkeiten.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mich für das Naheliegende entscheiden«, sage ich. Plötzlich ist mir alles egal. »Wo wohnen Sie eigentlich?«
»In Bad Soden«, sagt er. »Nicht direkt dort, in einem Ortsteil davon. Ich kann Sie aber erst gegen halb sechs abholen. Mache heute etwas früher Schluss. Ist das in Ordnung?«
Ich traue meinen Ohren nicht. »Sie wollen mich abholen?« frage ich, und zum ersten Mal in den letzten zwei Jahren spüre ich einen stechenden Anfall von Glück. »Hier zu Hause, oder wie?«
»Sie sind doch seitdem nicht mehr umgezogen? Mit öffentlichen Verkehrsmitteln wären Sie sonst schätzungsweise zwei Stunden unterwegs. Ich hole Sie gegen halb sechs ab.«
»Gut«, sage ich. Inzwischen stehe ich in meinem kleinen Zimmer und tänzle auf der Stelle, weil mir nach Hüpfen und Singen zumute ist.
»Ich brauche allerdings Ihre Adresse.«
»Meine was? Ach so.« Ich diktiere sie und bringe dieHaus- und
Weitere Kostenlose Bücher