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scherbenpark

scherbenpark

Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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verschwindet wie ein Schatten in der Mittagszeit und taucht ebenso schnell wieder auf, mit Grigorijs Schuhen in der Hand, die sie ihm ehrfürchtig vor die Füße legt.
    »Zieh sie ihm doch an«, sage ich zur Wand. »Wenn schon, denn schon.«
    Grigorij rutscht vom Stuhl und geht in die Hocke, um sich die Schuhe zu binden.
    »Es ist nicht richtig, was du grad machst, Sascha«, sagt er und hebt sein runzliges Gesicht zu mir.
    »Was ist nicht richtig?« frage ich ziemlich laut. Das liegt daran, dass mein Ärger vom plötzlichen, kratzigen Mitleid verdrängt wird. Das fehlt mir noch, denke ich. Ihre Gene. Zur absolut falschen Zeit.
    Kann ich nicht lieber ihre schönen Augen haben? Bitte?
    Grigorij richtet sich auf. Er ist einen halben Kopf kleiner als ich und muss auch im Stehen zu mir aufschauen. Und das tut er auch.
    »Was ist?« frage ich. »Was habe ich schon gesagt? Wie geht's Angela? Ich habe sie lange nicht mehr gesehen.«
    »Angela geht's schlecht«, sagt Grigorij. »Sie hat sich die Weisheitszähne ziehen lassen, aber da wurde wohl schlampig gearbeitet, ihre ganze Backe ist seit einer Woche geschwollen, und sie kann nur mit Strohhalm trinken. Ihre einzige Freude ist, dass sie ein bisschen abnimmt, wenn sie so gar nichts essen kann. Sie ist doch seit Jahren neidisch auf alle Mädels, die dünn sind, vor allem auf dich.«
    Ich grunze etwas.
    »Ich mach ihr Bananenmilch«, sagt Grigorij und schaut mich von unten an. »Mit dem Pürierstab. Das ist kalt und nahrhaft, und sie kann es trinken. Sie schimpft aber, dass ihr die Milch schon zu den Ohren rauskommt. Aber ich kann ihre Schwellung doch nicht wegzaubern!«
    »Das ist ja schrecklich mit ihren Zähnen«, sage ich aufrichtig. »Das habe ich gar nicht mitgekriegt.«
    Grigorij zuckt mit den Schultern und schlurft zur Tür. Maria folgt ihm in den Flur. Sie sprechen kein Wort miteinander. Maria schaut auf Grigorijs gebeugten Rücken unter dem lila Trainingsanzug. Sie schließt die Tür hinter ihm, vielleicht hat sie dabei Gelegenheit, mit ihm kurz Blicke zu tauschen.
    Danach geht sie an mir vorbei zurück in die Küche. Ich stehe eine Zeit lang im Flur und gehe dann zu Maria.
    Maria sitzt am Tisch und rührt mit dem Löffel in der Marmelade.
    »Warum verabschiedet ihr euch nicht mal richtig?« frage ich gereizt. Dabei ist das die Frage, die mich am wenigsten interessiert. »Macht man das in eurer Generation so? Gibt man sich keinen Abschiedskuss und sagt sich nicht einmal Tschüs?«
    Maria antwortet nicht.
    »Wie lange geht das schon, Maria?« frage ich.
    Sie sieht zu mir auf, die kleinen blauen Augen laufen feucht an.
    »Nicht heulen«, sage ich warnend. »Und wo sind eigentlich meine Geschwister?«
    »Alissa ist bei Katja«, sagt Maria schnell.
    »Wer ist das?«
    »Ihre Freundin. Wohnt im dritten Stock. Sie spielen oft zusammen.«
    »Das wusste ich ja gar nicht, dass sie jetzt oft miteinander spielen.«
    »Und Anton hat Fußball-AH an der Schule.«
    »AG. Steht für Arbeitsgemeinschaft.«
    »Arbeit? Was hat Fußball mit Arbeit zu tun?«
    Ich zucke mit den Schultern.
    »Sascha«, sagt Maria flehend. »Ich gucke nach den Kindern, als wären es meine eigenen. Eigentlich sind es meine eigenen.«
    »Sind sie nicht«, sage ich scharf.
    »Ich habe sie niemals vernachlässigt. Sie stehen für mich immer an erster Stelle. Ich würde nie etwas gegen die Kinder tun.«
    »Du schickst sie weg und vögelst hier rum!« schreieich. »Gott sei Dank bin ich nicht noch früher gekommen! Wenn ich euch erwischt hätte, wenn ich den alten Knacker hier nicht nur ohne Schuhe, sondern auch ohne seine beschissene Hose gesehen hätte, ich wäre aus dem Kotzen nicht mehr herausgekommen!«
    »Das ist nicht richtig, was du da machst«, sagt Maria traurig, und mir fällt auf, dass ich diesen Satz heute in dieser Wohnung schon einmal gehört habe. Ich drehe mich um und gehe in mein Zimmer. Ich werfe mich auf mein Bett und drücke das Gesicht in das Kissen. Mir ist schlecht.
    Die Tür, die ich eben zugeknallt habe, geht leise wieder auf. »Raus!« schreie ich.
    »Sascha«, sagt Maria leise. »Was habe ich eigentlich falsch gemacht?«
    Ich setze mich abrupt im Bett auf. Maria kommt näher, langsam und vorsichtig, als würde sie zu einem Löwen in den Käfig steigen. Dann setzt sie sich auf die Bettkante, so nah, dass ich ihr Parfum riechen kann. Davon wird mir noch übler.
    »Er ist so nett, Sascha. Er ist ein guter Mann.«
    »Das will ich nicht hören«, sage ich. »Das interessiert mich

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