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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Opern, sie hat nie in Schubladen gedacht.
    Wie kann es sein, denke ich, dass Peter in dieser Wohnung, die nach Kohl riecht, die blitzblank gescheuert ist, in der auf jedem Schrank ein Spitzendeckchen liegt, auf den Fensterbänken die Alpenveilchen blühen, an den Wänden Nachdrucke hässlicher rosiger Kinderporträts hängen, drei Bilder für sechs Euro im benachbarten Supermarkt, wo rot karierte Vorhänge an den Fenstern flattern, dass in dieser Wohnung diese Musik gespielt wird?
    Im fremden Zimmer
    mit weißer Decke
    ein Recht auf Hoffnung
    und der Glaube
    an die Liebe.
    Ich fixiere die karierten Vorhänge.
    Wir hatten nie Vorhänge. Meine Mutter hat sie gehasst. Wahrscheinlich war es das Einzige, das sie wirklich kategorisch abgelehnt hat. Sie wollte die Fenster offen haben. Die Sonne sollte rein. »Lass die Sonnerein, denn es wird Regen geben« – meine Mutter hat selbst die »Fantastischen Vier« gemocht. Als Maria kam, hat sie als Erstes Vorhänge genäht, so ganz quietschbunt, mit großen Blumen, und sie befestigt und zugezogen.
    Dann kam ich von der Schule, und sie hat sie ganz schnell wieder abgehängt. Hat dann eine Bluse für sich daraus genäht und eine für Alissa.
    Alissas Bluse hat sie dann ganz schnell in drei Puppenkleider umgewandelt.
    Der betrunkene Arzt
    hat gesagt ,
    dass es dich
    nicht mehr gibt.
    Peter streckt den muskelbepackten Arm aus und tippt mit dem Zeigefinger auf meinen nackten Oberarm.
    »Was?« frage ich und gehe einen Schritt zurück.
    »Warum kommst du nicht mal mit in den Scherbenpark?« fragt er, ohne mich anzusehen. »Du weißt schon – unter den Eichen.«
    »Wo ihr euch besauft und bekifft und wo sich drei deiner Kumpels im Gebüsch ein Mädel teilen? Was soll ich da?«
    »Na ja . . . Eben das.«
    »Ich verzichte.«
    »Das stimmt nicht, dass sich drei eine teilen, wo hast du das her? Das war nur zweimal, und sie wollte das echt selber.«
    »Also, ich will das nicht.«
    »Hast du Angst?«
    Ich gehe ganz nah an ihn ran und stelle mich auf die Fußspitzen.
    »Merk dir was«, sage ich. »Ich. Habe. Niemals. Angst.«
    »Dann komm doch. Wo ist dann das Problem?«
    »Ihr ödet mich an. Das ist das Problem.«
    »Ah«, sagt er ruhig und beugt den Kopf. »Du willst was Besseres.«
    »Genau«, sage ich und beobachte, wie sich sein Gesicht verändert. Als wäre er gestochen worden.
    Dann bringt er seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle.
    »Das würde ich an deiner Stelle nicht sagen«, spricht er langsam aus. »Das könnte sich rächen.«
    »Ich habe schon die Hosen voll. Vor Angst.«
    »Sehr klug von dir.«
    »Alissa«, sage ich laut. »Wie lange soll ich noch auf dich warten? Ab nach Hause.«
    Keine Antwort.
    »Fickt er gut?« fragt Peter plötzlich und sieht mir genau ins Gesicht.
    »Wer?« frage ich erstaunt.
    »Der reiche Daddy, den ich hier einmal gesehen habe. Der dich mal hier abgesetzt hat. So ein alter Knacker mit grauen Haaren. Ich weiß doch, wie du bist. Du tust so, als wären wir alle der letzte Dreck. Und in Wirklichkeit bist du die schlimmste Schlampe von allen. Fickt er gut?«
    »O ja«, sage ich. »Ganz wunderbar. Ich kann es kaum aushalten bis zum nächsten Mal. Alissa! Ich gehe!«
    Sie schießt um die Ecke und umklammert meine Hand mit ihren heißen klebrigen Fingern.
    »Das Armband kannst du behalten«, sagt sie zu Katja, die ihr ein wenig lethargisch hinterherwinkt. »Das schenke ich dir. Wer ist Vadim?« fragt sie im Aufzug. »Halt! Lass mich drücken!«
    »Vadim?« frage ich und hebe sie hoch, damit sie an die Knöpfe drankommt. »Niemand.«

Ich habe wieder angefangen zu joggen. Am liebsten abends, wenn es dunkler und kühler wird. Ich laufe an dem Supermarkt vorbei, an einer tristen Eckkneipe, unter den Platanen durch, einmal um die Hauptschule, durch die Unterführung, meist rauscht dann ein Zug über meinem Kopf vorbei.
    Hier ist es selbst mittags im Hochsommer immer schattig und feucht, hier zündeln oft Kinder in Antons Alter, ich trete regelmäßig in Erdlöcher, die voll sind mit ausgebrannten Zweigen, Asche und Zeitungspapier.
    Anton habe ich hier auch einmal gesehen, und in seiner Nähe brannte kein Feuer, das freute mich, allerdings voreilig. Anton hockte sehr beschäftigt und ziemlich tief im Gebüsch neben einem schwarzhaarigen Jungen und zuckte zusammen, als ich näher kam und mich über seine Schulter beugte.
    Und ich zuckte auch zusammen, denn zwischen Antons Füßen lag etwas, das wie ein rohes Steak mit Haaren aussah. Und mit winzigen

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