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scherbenpark

scherbenpark

Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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so?«
    »Weiß nicht«, flüstert sie.
    »Wie – weißt du nicht? Du bist doch dabei.«
    »Formel 1«, schreit Alissa aus einem anderen Zimmer. »Wir spielen Formel 1. Katja, jetzt komm endlich.«
    Katja steckt den Daumen in den Mund. Ihre Augen sind wässrig blau wie bei Peter. Im blonden Haar stecken ungefähr 26 Haarspangen.
    Ich zwinkere ihr zu. Sie nimmt die Hand aus dem Mund und versteckt sie hinter dem Rücken.
    »Warum kommst du nicht mal zu uns?« frage ich. »Ich glaube, Alissa würde sich freuen.«
    Katja schweigt und sieht kurz zu Peter rüber. Peter betrachtet mich von oben und sagt ebenfalls nichts.
    »Darf nicht«, flüstert Katja.
    »Wieso darfst du nicht?« frage ich. »Wer sagt das?«
    »Mami«, sagt Katja.
    Ich hebe den Kopf und treffe Peters Blick.
    »Warum darf sie nicht?« frage ich. »Denkt deine Mutter, wir fressen kleine Kinder?«
    Peters Mundwinkel fährt nach oben. »Was weiß ich«, sagt er. »Von mir aus soll sie zu euch. Dann habe ich hier meine Ruhe.«
    »Ich darf nicht«, sagt Katja hartnäckig.
    Ich hocke mich vor sie hin. »Ich frag deine Mami, ob du darfst, in Ordnung?«
    Sie nickt zaghaft. Dann noch mal, heftiger. »Ich will Alissas Roboter sehen«, sagt sie.
    »Ich frag deine Mutter«, wiederhole ich. »Wann kommt sie heim?« Das frage ich Peter.
    »Vergiss es«, sagt Peter und streckt sich und berührt dabei die Decke. »Sie kommt um sieben, aber das kannst du dir echt sparen.«
    Ich richte mich auf. Ich strecke mich ebenfalls, soweit es geht, trotzdem reiche ich ihm gerade mal bis zur Schulter. »Wieso?« frage ich scharf. »Was haben wir deiner Mutter getan?«
    »Du weißt doch, wie die Alten sind«, sagt Peter. »Sie hat halt Angst. Sie war an dem Abend zu Hause, als es bei euch geknallt hat. Ich hab's ja schon kaum glauben können, dass euer Zwerg überhaupt zu uns kommen darf. Die Alten sind feige und blöd.«
    »Es war Vadim«, sage ich. »Vadim hat geschossen. Nicht ich. Nicht Maria. Warum darf Katja nicht kommen?«
    Peter zuckt mit seinen monumentalen Schultern.
    »Mir isses eh scheißegal«, sagt er. »Meine Mutter sagt, im elften Stock riecht es immer noch nach Unglück. Sie ist halt ein bisschen daneben. Wenn sie eine schwarze Katze sieht, dann spuckt sie dreimal über die linke Schulter, damit ihr ja nichts passiert.«
    »Ist es deswegen?« frage ich. »Nur, weil sie abergläubisch ist?«
    »Weißt du«, sagt Peter, »ich habe sie nie danach gefragt. Aber an eurer Stelle würde ich aus der Wohnung ausziehen.«
    »Wieso?«
    »Weil dort die Luft vergiftet ist. Im achten Stock ist vor neun Jahren einer erstochen worden, da wart ihr noch nicht da, da ist bis heute nur eine Wohnung vermietet.«
    »Das ist doch nicht dein Ernst.«
    »Man sieht doch bis heute die Blutflecken vor eurer Tür.«
    »Das ist Dreck.«
    »Erzähl mir was.«
    »Wenn dein Vater deine Mutter umbringt«, sage ich, »würdest du dann ausziehen? Aus der Wohnung, in der du mit ihr gelebt hast? Wo dein Zuhause war? Und ihr letztes Zuhause? Würdest du dann abhauen?«
    »Meiner Mutter«, sagt Peter, »würde so etwas bestimmt nicht passieren.«
    Da tut es mir plötzlich weh. Ich verstehe erst nach einer Sekunde, dass es daher kommt, dass sich meine Fingernägel in den geballten Fäusten in die Haut geritzt haben. Es sind mehrere halbmondförmige rote Einschnitte.
    »Deiner Mutter«, wiederhole ich. »Nein, ihr würde das wahrhaftig nicht passieren.«
    »Was?« fragt Peter. »Was meinst du damit?«
    »Und was hast du vorhin gemeint?« frage ich.
    Und dann denke ich, dass er klüger ist, als ich dachte. Er antwortet nämlich nicht.
    Die Kinder stimmen sind verstummt. Und da höre ich die Musik, die aus Peters Zimmer durch die geöffnete Tür drängt. Ich kenne diesen Song.
    Der betrunkene Arzt
    hat gesagt ,
    dass es dich
    nicht mehr gibt.
    Die Feuerwehr meinte ,
    dein Haus
    ist abgebrannt.
    »Nein«, sage ich. »Du hörst Nautilus Pompilius?«
    »Was soll ich denn sonst hören?« fragt Peter feindselig. »Die Lollipops? Was ist mit dir?«
    Mit mir ist nichts. Ich stehe da, versuche zu atmen, alles zerfließt vor meinen Augen.
    »Du hörst das?« wiederhole ich sinnlos.
    »O Mann«, sagt Peter genervt. »Nein, ich höre das nicht. Ich esse das.«
    Es ist ein Lied, das wie ein Schlag in die Magengrube ist.
    Es kann nicht sein, dass Peter die längst vergessene Musik einer alten Gothic-Band vom Ural einlegt, denke ich. Meine Mutter hat sie gemocht, sie hat viel Pop und Rock gehört, Chansons und Musicals und

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