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scherbenpark

scherbenpark

Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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zwischen den Zähnen hervor. Wahrscheinlich reitet mich gerade der Teufel. »Daran wird es scheitern, Peterchen. Hartz IV und gebrochenes Deutsch machen mich einfach nicht an. Da habe ich Orgasmus-Probleme.«
    Sein Mund ist plötzlich ganz schmal. Es ist ganz leise, nur auf der Wiese zirpt es.
    Er macht einen Schritt nach vorn, und ich drücke mich mit dem Rücken gegen die Mauer und umklammere fester den Flaschenhals.
    »Du hast ganz schön Schiss«, sagt er.
    »Nee, eher du. Ich mache es, Peter. Ich schlitze jedem die Fresse auf, der mir so kommt.«
    »Ich mach dir das Leben zur Hölle, das verspreche ich dir«, sagt er leise.
    »Zu spät«, sage ich. »Is' schon. Lass mich durch, du Affenarsch.«
    Er streckt die Arme aus, und ich schlage mit der Flasche in sein Gesicht.
    Aber ich habe mich verschätzt.
    Die Flasche zerbricht nicht. Sie bleibt heil. Und sie fliegt mir davon, ausgerutscht aus den feuchten Fingern. Ich habe Peter fast gar nicht verletzt. Er röhrt nur auf, drückt kurz die Hand aufs Gesicht und stürzt sich dann auf mich. Ich schlage mir den Kopf an der Mauer an, zurückgeworfen von der Wucht seines Körpers.
    Und da beginne ich zu schreien. Ich verstehe selber nicht gleich, was ich schreie. Es ist immer nur ein Wort. Es ist ein Name.
    Ich schreie nach Volker.

Er erschrickt sehr am Telefon. Wahrscheinlich, weil er mich so noch nicht erlebt hat. Ich kann überhaupt kein Wort sagen. Ich kann nur heulen. Mein Kissen ist ganz nass vor Tränen und Rotz. Außerdem habe ich, glaube ich, auch noch ständig reingebissen.
    »Ich komme«, sagt er schließlich verzweifelt, und das bringt mich ein bisschen zur Besinnung.
    Ich wische mir das Gesicht ab und drücke den Hörer ans Ohr.
    »Auf keinen Fall«, sage ich. »Ist schon spät.«
    »Ich habe nicht verstanden, was passiert ist«, sagt Volker hilflos. »Bist du überfallen worden? Hat man dir was angetan? Bist du völlig irre, da abends allein rumzulaufen? Was denkst du dir dabei?«
    »Schrei mich nicht an«, sage ich.
    »Was ist passiert?« wiederholt er. »Jetzt sag doch endlich.«
    »Sie haben mich gehen lassen«, sage ich. »Ich habe nach dir gerufen. Ganz laut gebrüllt. Hast du was gehört in deinem Bad Soden? Vielleicht haben sie gedacht, dass gleich jemand kommt. Sie haben versucht, mir den Mund zuzuhalten, und ich habe in die Hand gebissen, dass es geblutet hat. Die Flasche ist nicht zerbrochen, Volker. Diese Scheiß-Flaschen sind so stabil.«
    »Du musst zum Arzt«, sagt Volker. »Ich glaube, du bist verletzt.«
    »Bin ich nicht«, sage ich.
    »Ich komme«, sagt er. »Ich hole dich ab. Wir haben uns eh lange nicht mehr gesehen.«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Ich kann meine Kinder hier nicht allein lassen.«
    »Dann sollen sie mitkommen.«
    »Ich kann trotzdem nicht.«
    »Grundgütiger, warum?«
    »Das weißt du doch.«
    »Weiß ich nicht.«
    »Weißt du doch.«
    »Nein«, sagt er mit fester Stimme. »Ich habe keine Ahnung.«
    Das sagt er immer: Er weiß nicht, was ich meine. Er spricht mit keiner Silbe an, was mal zwischen uns passiert ist. Er ist lieb und fürsorglich. Aber er will nicht, dass ich diese Nacht erwähne.
    »Nicht weinen«, sagt er leise. »Wenn nichts passiert ist . . . dann hast du ganz schön Glück gehabt. Gott sei Dank. Versprich mir, dass du in Zukunft vorsichtigerbist. Dass du nicht nachts in eurem Ghetto herumspazierst. Ich verstehe, dass du einen Schock hast. Du musst echt mal eine Therapie machen.«
    »Volker«, sage ich. »Du redest Blech.«
    »Stimmt«, sagt er. »Aber mir fällt nichts Besseres ein. Ich würde dich gern umarmen. Aber meine Arme sind nicht so lang. Ich weiß überhaupt nicht, was ich für dich tun kann.«
    »Du hast mich heute gerettet«, sage ich.
    »Bitte?«
    »Dein Name hat mich gerettet.«
    Er schweigt verdächtig lange.
    »Erzähl Felix nichts davon«, sage ich.
    »Hatte ich auch nicht vor«, sagt Volker.
    »Weißt du, warum ich weine?« sage ich. »Hör mir einfach zu. Es ist so: Ich habe sie nicht gerettet. Weder sie noch Harry. Aber ich hätte es tun können. Wenn ich dazwischengegangen wäre. Wenn ich nicht einfach nur in der Tür gestanden hätte, mit gekreuzten Armen und genervter Miene. Ich hätte nach vorn gehen sollen.«
    »Du spinnst«, sagt Volker. »Wenn du es getan hättest, dann hätten wir jetzt nicht telefonieren können.«
    »Ich hätte es geschafft. Mir gelingt alles. Mir gelang alles. Früher. Ich hatte keine Angst. Bis heute Abend. Jetzt habe ich wieder Angst. Und habe Angst vor

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