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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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durcheinanderzubringen? Die Entscheidung braucht nicht sofort getroffen zu werden, undwir alle müssen bis zu jenem »späteren Zeitpunkt« am Leben bleiben.
     
    Sweta studierte die Zugfahrpläne und erstellte ein Verzeichnis von Städten, die fürs Erste in Frage kommen mochten, samt ihrer Entfernung von Moskau. »Das wär’s«, schrieb sie unten auf die Liste. »Und was weiß ich über sie? Nichts. Aber überall gibt es Fabriken und Stromkraftwerke. Hiernach brauchen wir nur noch im Kaffeesatz zu lesen.« Dann legte sie die Alternativen dar:
     
Denkbare Möglichkeiten:
 
1.) Wenn der Radius kleiner als 100 ist, kann ich entweder hier leben und arbeiten und zu Dir fahren oder mit Dir zusammenwohnen und zur Arbeit und nach Hause [zu Swetas Eltern] fahren. Je geringer der Radius, desto bequemer wären beide Möglichkeiten.
2.) Wenn der Radius kleiner als 200, aber größer als 100 ist, können wir nur daran denken, dass ich hier wohne und arbeite und Dich bloß besuche.
3.) Bei einem Radius von mehr als 200 besteht diese Möglichkeit weiter, aber die Besuche würden natürlich weniger häufig stattfinden. Wenn ich meine Arbeit nicht aufgeben und mit Dir zusammenleben will, dann bietet Jar[oslawl] immer noch die beste Lösung. Dabei gibt es auch noch denkbare Teiloptionen: Entweder bleiben meine Eltern hier oder (Schurka hält dies für völlig machbar, aber ich glaube nicht, dass Mama einverstanden wäre) ich nehme sie mit. Dann könnte der Radius sogar noch größer sein. Wenn Papa allerdings nicht aufhören will zu arbeiten, dann sind wir wieder bei Jar[oslawl] oder Wor[onesch]. Wir haben uns so sehr an M[oskau] gewöhnt, dass ich nicht weiß, ob es sinnvoll ist, meine Eltern umziehen zu lassen … Die Ruhe und die sauberere Luft der Provinz wären viel besser für sie als all der Aufruhr und das Gerenne in Moskau. Aber die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten ist hier immer noch viel besser(obwohl Schurka sagt, dass man überall Morphine hat) … Die beste Variante für mich – für meine Gemütsruhe und damit es mich nicht zerreißt – wäre es eindeutig, wenn wir alle zusammenleben könnten. Sonst wird mein Nesselausschlag nie verschwinden und ich werde nie aufhören, andere anzufahren. Und auch finanziell wäre es leichter. Es ist allemal teurer, zwei Wohnungen zu unterhalten … Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was ich will.
     
    Sweta war hin- und hergerissen zwischen ihrer Pflicht, sich um ihre Eltern zu kümmern, und ihrem Wunsch, mit Lew zusammen zu sein. Der Konflikt wühlte sie auf und deprimierte sie. All die Besorgnis darüber, wo sie wohnen würden, konnte eine größere Furcht nur teilweise verdecken: Wie würde das Leben mit Lew sein? Seit fünfzehn Jahren hatte sie auf diesen Moment gewartet, doch nun, da es fast so weit war, wurde sie von Zweifeln geplagt:
     
Ich falle bereits kopfüber in ein Loch, wälze mich dann am Boden herum und denke, dass ich kein gutes Studium absolviert habe, dass ich eine schlechte Tochter bin, dass ich nicht gut arbeite. Das Einzige, was mir bleibt, ist das, was ich für mich selbst und denjenigen tue, der Gott genannt wird (und selbst das hätte jemand anders besser hinbekommen; und wenn ich in den Himmel eingelassen werde, dann nur Deinetwegen). Und wenn sich nun herausstellt (was sehr wahrscheinlich ist), dass ich auch eine schlechte Ehefrau – und ebenso schlechte Mutter – sein werde, dann bleibt mir nur, mich aufzuhängen. Ich werde nichts mehr essen und nicht mehr schlafen. Vielleicht überdeckt meine Furcht, Mama allein zu lassen, die Angst, dass ich mich nicht zur Ehefrau eigne. Ehrlich, ich bin in Panik.
     
    Lew war ebenfalls nervös, doch seine Zweifel betrafen nicht Sweta:
     
Sweta, mein Liebling, es wird nicht den geringsten Grund geben, Dich aufzuhängen, Du albernes Geschöpf! Und es gibt jetztauch keinen Grund, nichts mehr zu essen und nicht mehr zu schlafen. Was bedeutet »schlecht« in diesem oder jedem anderen Zusammenhang? In jeder Hinsicht wirst Du das sein, was Du bist, und was sonst brauche ich, brauchen wir? Wie kann es etwas geben, für das Du nicht geeignet bist? Egal, was aus Dir wird, Du wirst darin gut sein. Glaubst Du wirklich, dass irgendeine Fähigkeit, zum Beispiel die, eine Ehefrau zu sein, je das Allerwichtigste sein kann – dass ihr Fehlen die einzigartige, kostbare Sache verdrängt, die es ermöglicht, dass wir aufeinander warten wollen? … Und Du darfst Deine Mutter nicht verlassen. Ich habe genauso viel Angst

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