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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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kümmern. Das Beste, was sie beide sich ihrer Ansicht nach erhoffen konnten, war, dass Lew sich irgendwo unweit von Moskau niederlassen durfte, so dass sie ihn besuchen konnte. Am 2. Mai schrieb sie ihm:
     
Seit Langem muss ich Dir nun wirklich einen ernsten Brief schreiben, und ich schiebe es immer wieder hinaus, weil ich mich dadurch sofort deprimiert fühle. Im tiefsten Innern glaube ich nämlich nicht, dass in 6 Monaten alles irgendwie geordnet seinund unser gemeinsames Leben reibungslos verlaufen wird. Entweder wird Mama sich noch schlechter fühlen, oder Papa wird an etwas erkranken, oder die Haushälterin wird kündigen, oder es wird etwas anderes im globalen oder lokalen Maßstab geben, und ich werde nirgendwohin ziehen können, sondern Dich nur von Zeit zu Zeit besuchen. Ja, darauf muss ich mich vorbereiten. Also ist es vielleicht nicht einmal nötig, über meine Arbeit nachzudenken, sondern nur über unsere Nähe. Was ist die nächste Stadt? Kalinin vermutlich. Aber je näher es ist, desto schwieriger wird es für Dich sein, Arbeit zu finden. In Alexandrow zum Beispiel (sogar Vorortzüge fahren dorthin) ist es wegen der bereits allzu großen Zahl an diversen Spezialisten offenbar so gut wie unmöglich, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Trotzdem sollten wir, wenn wir eines Tages wirklich zusammenleben werden, auch meine Arbeit im Kopf behalten … Im Moment brauchen wir noch nicht darüber nachzudenken, denn es gibt andere Dinge von dringenderem Interesse: Deine Ankunft und unseren Plan, so nahe wie möglich beieinander zu sein, absolut frei und nicht so sehr an die Arbeit gefesselt, dass Du nicht jederzeit hierherkommen könntest. Du musst hier einige Treffen arrangieren, um all den noch verbliebenen Abfall von den alten Regenschirmen wegzuräumen [um die vom Gulag herrührenden Beschränkungen aufzuheben]. Wenn das bedeutet, dass Du eine Zeitlang nicht arbeiten kannst, dann sei’s drum. Du wärest nicht der erste Mensch auf der Welt, der ein paar Monate ohne eine Stelle lebt …
     
    Lew war angetan von dem Gedanken an Kalinin (oder Twer, wie es früher geheißen hatte), eine Provinzstadt nicht weit nördlich von Moskau an der Eisenbahnstrecke nach Leningrad. Auch er hatte es als möglichen Wohnort nach Petschora in Erwägung gezogen, falls die Behörden dies zuließen. »Ich hätte Kalinin ebenfalls erwähnen sollen«, antwortete er Sweta am 10. Mai.
     
Ich weiß nicht, was ich dort vorfinden würde und ob die Verhältnisse die gleichen sind wie in Alexandrow. Aber müssen wiruns, da unsere Pläne noch so vorläufig sind, wirklich auf eine bestimmte Stadt konzentrieren? Solange sie einen Bahnhof hat, womit ich ein geeignetes Verkehrssystem meine, spielt alles andere eigentlich keine große Rolle. Was ließ Dich gerade an Kalinin denken? Jedenfalls werde ich versuchen, hier ein paar aus Twer stammende Männer zu finden und Nachforschungen anzustellen. Wahrscheinlich ist es ein guter Ort, und außerdem liegt es ja an der Wolga. Andererseits könnte es deshalb allzu bevölkert sein.
     
    Sweta hatte den Namen Kalinin »fast beiläufig, wenn auch nicht ganz«, fallenlassen. Sie hatte gehört, dass man dort eine neue Reifenfabrik bauen werde, und hoffte, dass Lew und sie dort Arbeit finden könnten. »Die Stadt wächst rundum, und die elektrische Vorortbahn wird bald bis dorthin fahren (ohnehin liegt sie an einer guten Linie mit wenigstens sechs Fernzügen am Tag). Sie ist 167 Kilometer [von Moskau] entfernt, und die Fahrt dauert nur vier Stunden. Schurka [Alexandra Tschernomordik] war im letzten Sommer dort und sagt, dass ihr die Stadt gefallen hat.«
    Gleichzeitig fand Sweta mehr über die Fabriken in Woronesch und Jaroslawl heraus. Die Reifenfabrik in Jaroslawl sagte ihr nicht zu, »weil sie so riesig war, dass Menschen sich darin verirren«. Das konnte sich jedoch als Vorteil erweisen, wenn Lew dort Arbeit fand, denn man würde ihn als früheren Häftling kaum zur Kenntnis nehmen, während er in Woronesch »stärker auffallen« würde. Andererseits hatte die Fabrik in Woronesch weniger Fachkräfte, so dass Lew dort leichter eine Stelle bekommen könnte. »Daheim fragte ich meine Eltern wie nebenbei, ob sie Lust hätten, nach W[oronesch] zu ziehen«, schrieb sie Lew am 1. Juni.
     
Papa fragte: »Wieso?«, und Mama erwiderte: »Nein.« Ich habe das Gespräch nicht fortgesetzt, weil ich keine Ahnung habe, wie ich solche persönlichen Angelegenheiten mit ihnen diskutieren soll. Und welchen Zweck hat es, sie

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