Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)
Schmuggler sein »Namensvetter« Lew Israilewitsch, ein kleiner jüdischer Mann mit lebhaften Augen und einem runden, fast kahlen Kopf. Er wohnte in Koschwa, einer ausgedehnten Siedlung am anderen Flussufer von Petschora, wo er als Fahrdienstleiter arbeitete. »Ich habe einen interessanten Herrn kennengelernt«, schrieb Lew am 16. Mai.
Nach seinem Namen habe ich ihn noch nicht gefragt, aber wir haben uns angenehm unterhalten … Er ist ein intelligenter, kultivierter Mann. Wie sich herausstellt, stammt er aus Leningrad und studierte am Polytechnikum (er wurde daran gehindert, es abzuschließen) und war bis 1937 Journalist … Er kennt sämtliche großen Tiere und Industriekapitäne von Leningrad.
Vor seiner Verhaftung im Jahr 1937 war Lew Israilewitsch akademischer Sekretär der beliebten Zeitschrift Wissenschaft und Technik gewesen und hatte mehrere Bücher geschrieben, die den Sowjetmassen die Naturwissenschaft nahebringen sollten, darunter eines mit dem Titel Wie man Dinge mit den Händen herstellt . Eine praktische Anleitung mit 40 Zeichnungen (1927). Daraus lernten die Leser, wie sie verschiedene Objekte – von Mikroskopen und Kameras bis hin zu einfachen Haushaltsgegenständen wie Kleiderbügeln – anfertigen konnten. Nach seiner Entlassung aus dem Arbeitslager Petschora hatte Israilewitsch sich in Koschwa niedergelassen, wo er in einem Holzhaus wohnte, das zur besseren Isolierung gegen den eiskalten Wind halb im Boden vergraben war. Während er eigentlich als Fahrdienstleiter tätig war, kam er häufig ins Holzkombinat, um Auftragsarbeiten als Techniker und Mechaniker zu erledigen. Er hatte einen Passierschein, der ihm gestattete, die Industriezone jederzeit zu betreten. Als begeisterter Fotograf verdiente sich Lew Israilewitsch zusätzliches Bargeld, indem er die Häftlinge portätierte und ihren Familien die Bilder schickte.
Das Schmuggelsystem funktionierte folgendermaßen: Sweta schickte ihre für Lew bestimmten Briefe an seinen »Namensvetter« zusammen mit Fotopapier, Chemikalien und anderen Substanzen, die Lew Israilewitsch erbeten hatte; wenn er Lew die Briefe im Holzkombinat übergab, bezahlte er ihn für diese Materialien und nahm sämtliche Schreiben für Sweta mit. Auf diese Weise konnte sie Lew nicht nur Briefe und Pakete zukommen lassen, sondern auch Geld, das die Wärter sonst gestohlen hätten. Lew schildert das System auch in seinen Briefen:
[16. Juni] Ich habe Israilewitsch vor Kurzem erneut getroffen. Er verdient immer noch Geld als Fotograf, doch es fehlt ihm an Entwicklungssubstanz, und wegen der kümmerlichen Mittel in unserem Labor können wir ihm nicht wirklich helfen. Übrigens hat er vorgeschlagen, wenn jemand mir einen Brief schreiben oder ein Telegramm schicken möchte, seine Adresse zu benutzen, damit die Sendungen rasch und sicher ankommen: An L. M. bei Lew Jakowlewitsch Israilewitsch, Frachtamt, Bahnhof Koschwa, Komi-ASSR. Er kann uns jederzeit im Elektrowerk anrufen.
[24. Juli] L. J. (Israilewitsch) ist wirklich dankbar für Deine Bemühungen. Es ist nicht notwendig, HgCl2 in anderer Form als des pharmazeutischen Pulvers zu schicken, obwohl Salpetersäure besser wäre … Außerdem bittet er um 6 x 9 Film und Chrompapier beliebiger Größe, weich und hart. Natürlich trägt er die Unkosten … Ich bin so glücklich darüber, dass ich nun all Deine Briefe erhalten kann … Das Einzige, was wir brauchen, um dies zu ermöglichen, sind Fotomaterialien. Er hat von Natriumkarbonat und Sodiumborat gesprochen. Sie sind (oder waren es zumindest) billig, aber schwer zu versenden, da ungefähr ein Kilogramm benötigt wird. Also betrachte dies nicht als endgültige Bestellung.
[23. August] Gestern brachte I[srailewitsch] zwei Briefe – vom 10. und 12.–14. August, [Nr.] 46 und 47, aber die früheren sindnoch nicht aufgetaucht … Ich habe Dir geschrieben, nicht die Adresse der Elektrostation, sondern nur die von I[srailewitsch] zu benutzen, denn sonst werden Deine Briefe verlorengehen wie die vorigen.
In einem ihrer Briefe hatte sich Sweta erkundigt, ob es notwendig sei, »Für Lew« auf die an seinen »Namensvetter« adressierten Umschläge zu schreiben. Lew erwiderte: »In Zukunft schreib, wie erwähnt, nicht ans Elektrowerk. Die Adresse meines Namensvetters ist die richtige, und ihm gebührt Dank. Du kannst das ›Für‹ weglassen.«
Lew freute sich über den Umgang mit seinem Namensvetter. Die beiden Männer hatten ein gemeinsames Interesse an
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