Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)
veröffentlicht hat? Zum Abschied zitiere ich für Dich ein paar Zeilen von Alexej Tolstoi aus dem Buch:
Frag nicht, warum, hab keinen Zweifel,
Rechne nicht mit Vernunft:
Wie ich dich liebe? Warum ich dich liebe?
Wofür ich dich liebe? Und wie lange?
Frag nicht, warum, hab keinen Zweifel:
Bist du wie eine Schwester für mich? Eine Ehefrau?
Oder ein kleines Kind?
Ich weiß und verstehe nicht,
Was, wie ich dich nennen soll.
Es gibt viele Blumen im offenen Feld,
Viele Sterne, die am Himmel glänzen,
Aber ich kann sie nicht bezeichnen
Noch alle erkennen!
Ich fragte nicht, wie ich dich zu lieben begann,
Ich berechnete oder bezweifelte es nicht,
Ich habe mich einfach in dich verliebt
Und folgte meinem eigensinnigen Kopf!
Also, Ljowa, das ist alles für heute.
Das neue Jahr ist begrüßt worden, und es wird Zeit, schlafen zu gehen.
Alle guten Wünsche
Swet
1. Januar 1947
11 Isaak Lewitan (1860–1900) und Archip Kuindschi (1842–1910) waren russische Landschaftsmaler.
12 Ein Codewort für den Gulag.
13 Russische Dichterin (1880–1972).
14 Aus Die Geschichte vom großen Krakeel zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch .
15 Oper von Tschaikowski.
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Ein beträchtlicher Prozentsatz der im Gulagsystem tätigen Menschen bestand nicht aus Häftlingen, sondern aus freien Arbeitern, die bezahlt wurden. Es hatte seit jeher ein Kontingent von freien Arbeitern in den Lagern gegeben, doch in der Nachkriegszeit stieg ihre Zahl, besonders in der Holztransport- und der Baubranche, wo man Aufgaben, die große Häftlingsteams per Hand erledigt hatten, nach und nach mechanisierte. Infolgedessen mussten Lohnarbeiter angeworben werden, welche die nötigen Fertigkeiten und Fachkenntnisse zur Bedienung der neuen Maschinen besaßen. Ende der 1940er Jahre setzte sich schließlich über ein Viertel des Gulagpersonals im Bausektor aus freien Arbeitern zusammen.
Die meisten waren ehemalige Häftlinge, die ihre Strafe abgeleistet hatten, aber nicht mehr wussten, wo sie sonst leben sollten. In den Nachkriegsjahren, als die acht- und zehnjährigen Haftstrafen des Großen Terrors abliefen, gab es Millionen solcher Arbeiter. Bürokratische Hindernisse machten es vielen von ihnen unmöglich, den Gulag zu verlassen. Oftmals verweigerte das MWD ihnen die Entlassungspapiere – eine gängige Praxis, um Experten und Facharbeiter zum Verbleib in den Lagern zu zwingen. Andere blieben, weil sie sonst kein Zuhause mehr besaßen, den Kontakt zu ihren Angehörigen verloren oder jemanden aus dem Gulag geheiratet hatten.
Das Holzkombinat von Petschora verfügte 1946 über 445 freie Arbeiter. Die meisten wurden vom MWD als leitende Angestellte und Spezialisten beschäftigt. Sie wohnten mit ihren Familien an unterschiedlichen Örtlichkeiten – manche innerhalb der Gefängniszone, wo sich unweit des Kraftwerks eine Siedlung für freie Arbeiter befand; andere außerhalb der Zone, in der sie ihrer Tätigkeit nachgingen. Ihre Lebensbedingungen waren nicht viel besser als die der Häftlinge. Viele drängten sich in überfüllten Schlafsälenoder Baracken, wo sie sich ein Einzelzimmer mit bis zu sechs Personen teilten. Laut einem Bericht, den die Parteiführer des Holzkombinats im Oktober 1946 erörterten, hatten die freien Arbeiter innerhalb der Zone pro Kopf nur 1,8 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung – kaum mehr als die 1,5 Quadratmeter, die jedem Häftling durch die Gulagvorschriften zugestanden wurden. Die einstöckigen Holzhäuser hatten weder fließendes Wasser noch sanitäre Einrichtungen und in den meisten Fällen undichte Dächer; und allen fehlte es an Gebrauchsmöbeln (in einem Arbeitslager, das Möbel herstellte). Die Siedlung selbst machte eine schäbige Ecke des Lagers aus, hatte keine Außenbeleuchtung, Waschgebäude oder Toiletten und nur einen einzigen Brunnen für die Wasserversorgung. Sie war übersät mit dem Abfall des Holzkombinats – Sägemehl, Baumrinde und Holzspäne –, der eine Feuergefahr bildete und Ratten anzog.
Obwohl die freien Arbeiter eine wichtige Rolle für die Verwaltung des Holzkombinats spielten, standen sie den Häftlingen – mit denen sie sympathisierten, da sie deren Schicksal früher geteilt hatten – gewöhnlich näher als den MWD- oder Parteiführern des Arbeitslagers. Letztere behandelten die freien Arbeiter mit Argwohn. »Wir sind umringt von unzufriedenen Leuten, die sich der Sowjetmacht widersetzt haben«, verkündete Genosse Wetrow, der
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