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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Kapitalisten zu verwandeln, indem sie zu einer ordentlichen Buchführung übergehen«, berichtete er Sweta freudig. Später im selben Jahr ließ er ihr 200 Rubel zukommen, die er gespart hatte und die sie Tante Katja für einen kurzen Sanatoriumsaufenthalt übergeben sollte.
     

    Strelkow und Lew (hintere Reihe) mit Lilejew (links) und Litwinenko außerhalb des Labors
     
    Ein weiteres Zugeständnis machte die Führung des Holzkombinats den Häftlingen in einem Erlass vom Frühjahr1950 , der ihnen gestattete, eigene Gemüseparzellen anzulegen. Lew und seine Freunde in der Elektrogruppe organisierten eine »Kolchose«, in der sie Kopfsalat, Rettich, Erbsen, Rüben und Brombeeren, die alle reichlich Vitamine lieferten, anbauten. Strelkow, dem »Kolchosvorsitzenden«,bereitete diese Arbeit ein »väterliches Vergnügen«, schrieb Lew an Sweta, »und es machte ihm Spaß, uns zuzuhören, wenn wir den Gemüsegarten und seine Kochkunst lobten«. Er installierte sogar Lichter, um die Ernte im Dunkeln zu schützen, doch Lew war skeptisch und meinte, dass sich Diebstähle auf diese Weise »um bestenfalls 1 Prozent« verringern ließen. Strelkow und seine »Landarbeiter« züchteten auch Kapuzinerkresse und Astern unter Glas sowie Kaninchen im Keller des Kraftwerks. Sie fertigten elektrische Heizgeräte für die Ställe an und konnten später schmackhaften Kanincheneintopf kochen. »Wir haben mit Verzug begonnen, ein wenig im Gemüsegarten zu arbeiten«, schrieb Lew Mitte Oktober.
     
Die Ausbeute ist gering und nicht sehr lohnend, aber erfreulich, besonders für G. J. [Strelkow]. Einige Tomaten reifen noch auf seiner Fensterbank, und sonst bestehen unsere Vorräte nur noch aus Kartoffeln (die übrigens im Moment nicht knapp sind). All die anderen Früchte der Erde sind aufgegessen worden. Wir hatten sogar Rhabarber und Spinat – Westeuropa auf Komi-Boden.Nikolka [Litwinenko] tut das alles sehr gut. Er ist zur Kaninchenzucht übergegangen – ein Verbot besteht nicht –, und nun lebt eine Gruppe sechs langohriger Seelen, die N. zu einem Eintopf verarbeiten will, im Keller des Werks … Ich bin nicht an der Unternehmung beteiligt, sondern beobachte die Geschöpfe nur mit großem Vergnügen. Gegenstand unserer Aufmerksamkeit ist im Moment unser Kater Mitka (nicht der bei G. J., sondern der in unserer Baracke). Er hat sich irgendeine Krankheit zugezogen, die sich vor allem auf seine Augen auswirkt und sie tränen lässt … Da wir keinen Tierarzt haben, behandeln wir ihn selbst, flößen ihm Vitamin C ein und waschen seine Augen mit Borsäure. Er hat Fürsorge verdient, denn er ist ein vorzüglicher Mäusejäger, sein Benehmen ist tadellos, und er hat einen wunderbaren Charakter.
     
    Noch andere kleine Verbesserungen fanden im Holzkombinat statt. Größere Baracken wurden für die Häftlinge gebaut, und in der Siedlung gab es ein neues, allen Insassen zugängliches Clubhaus mit einer Bibliothek, einem Rundfunkgerät, das auf die nationalen Sender eingestellt war, einer Tischtennisplatte und einer Ecke zum Karten- und Dominospielen. Neben dem Wachhaus wurden ein Postamt und ein kleiner Laden eröffnet, wo Häftlinge Brot und manchmal sogar Butter, Wurst, Zucker, Wodka, Tabak und Kleidungsstoff kaufen konnten. Allerdings waren die Lieferungen unzuverlässig (einmal hatte der Laden 600 Meter Handtuchstoff, doch nichts Wärmeres anzubieten). »Welchen Sinn hat es, mir Zucker zu schicken, da ich ihn doch hier kaufen kann. Zahnpasta und Seife – alles ist nun vorhanden«, teilte Lew Sweta mit. Mit Hilfe der freiwilligen Arbeiter konnte er auch die wachsende Zahl von Läden im Hauptort nutzen, wo es eine etwas größere Auswahl an Lebensmittelkonserven, Trockenfisch und gelegentlich auch an Gemüse, Tee und Kaffeewürfeln 40 gab.
     

    Fünf Häftlinge der Petschorlag-Fußballmannschaft
     
    Petschora selbst entwickelte sich rasch, was neue Arbeits- undUnterhaltungsmöglichkeiten für die Häftlinge mit sich brachte. Im Jahr 1949 eröffnete man einen Kulturpalast im Zentrum. Ausschließlich von Häftlingen errichtet, enthielt das klassische, mit Säulen versehene Gebäude ein Auditorium, dessen Möbel sämtlich von den Tischlern des Holzkombinats hergestellt worden waren. Die hier gezeigten Filme wurden separat für die freiwilligen Arbeiter und für die Lagerinsassen (die unter Bewachung zum Palast marschierten) vorgeführt. Man besaß ein eigenes Orchester und, seit1951 , eine aus Häftlingen bestehende Theatertruppe. Die

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