Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)
verantwortlich bin 41 und weil meine eigene Lage unvergleichlich besser ist als seine.«
Im April 1948 wurde Oleg zu einem benachbarten Übergangslager gebracht, wo man Häftlinge zu einem Konvoi zusammenstellte. Bevor dieser aufbrach, schrieb Lew an Oleg und teilte ihm Swetas Adresse mit. Zehn Monate lang ließ Oleg nichts von sich hören, doch dann schrieb er an Sweta. Er befand sich in einem Sonderlager in Kosju, 100 Kilometer nordöstlich von Petschora an der Eisenbahnlinie nach Workuta, wo er in einem Steinbruch arbeitete. Die Lagerbedingungen waren schlimm, er hatte sich die Hand verletzt und wollte, dass Sweta ihm Bücher schickte. Lew, der sich große Sorgen um ihn machte, sammelte Geld bei den anderen Häftlingen und gab Päckchen für Oleg auf. Auch Sweta sandte Oleg verschiedene Dinge. Dann erhielt sie auf einmal Briefe mit der Bitte um das eine oder andere, das sie ihm bereits hatte zukommen lassen; manche waren in einem seltsamen Englisch verfasst und wiesen eine fehlerhafte Adresse auf. Wie sich herausstellte, zwangen die anderen Häftlinge Oleg, Päckchen anzufordern, die sie dann für sich behielten. Er hatte versucht, den Betrug zu verhindern, indem er die Adresse abänderte.
Sobald Lew Geld zu verdienen begann, sparte er so viel wie möglich für Oleg. Im Februar überwies er ihm 150 Rubel, die Oleg »für Brot ausgab«. Sweta war beunruhigt über die Nachricht, denn es sei sonderbar, wenn auch möglich, dass »er so viel Geld nur für Brot aufwenden durfte«. Da sie argwöhnte, dass er weiterhin von den anderen Häftlingen drangsaliert wurde, hielt sie die Päckchen in den nächsten Monaten zurück und schickte ihm nur kleine Geldbeträge. Lew erfuhr jedoch von einem anderen Häftling, der Oleg gesehen hatte, dass dieser buchstäblich von Brot besessen sei. Nachdem er im Steinbruch unter Hunger und Erschöpfung gelitten hatte, gab er nun jeden verfügbaren Rubel am Kiosk in Kosju für Lebensmittel aus. Daraufhin schickte Sweta ihm nicht nur Geld für den Brotkauf, sondern auch erneut Päckchen. »Ich habe drei Briefe von Oleg bekommen«, schrieb sie Lew am 19. Juli.
Er ist etwas besserer Stimmung, und mein Paket ist eingetroffen. Allerdings darf er kein Geld annehmen, bevor der Kiosk nicht wieder aufgefüllt ist – im Moment sind die Regale leer … Ich sehe ein, dass ich den Inhalt seiner Päckchen schlecht geplant habe. Um den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, habe ich ihm Kascha geschickt (er hatte um entweder Schwarzbrotrinden oder um die billigste Kascha gebeten), doch es ist völlig unklar, wie er sie kochen soll. Ich hätte ein paar Rinden trocknen müssen. Am Sonntag habe ich noch ein Paket mit fein gemahlener Gerste sowie Nudeln und Cornflakes auf den Weg gebracht. Außerdem legte ich ein kurzes Schreiben sowie 25 Rubel bei. Ich hätte nie gedacht, dass das möglich ist, aber alle, die regelmäßig Päckchen verschicken, sagen, dass es geht (fast 100 Rubel seien erlaubt), und Oleg schrieb, dies sei eine zuverlässigere Methode.
Unterdessen machte Lew sich noch Sorgen um Rykalow, der sich unverändert in der Krankenstation für Tuberkulosekranke befand. »Es sieht nicht gut aus«, ließ Lew Sweta wissen. »Er fühlt sich entmutigt … und ist geschwächt. Zurzeit ist es sehr schwierig, Zutritt zur Krankenstation zu bekommen, aber ich werde mich bemühen,ihn zu besuchen. Noch ein solcher Fall, und ich werde zum Fatalisten – es ist einfach erstaunlich, wie viel Pech all die Leute haben, die ich mag.« Im Jahr 1949 hatte man die Krankenstation nach einer Reihe von Ausbrüchen mit einem Stacheldrahtzaun umgeben und den Zugang eingeschränkt. Lew machte den Wärtern weis, dass er die elektrische Verkabelung auf der Station überprüfen müsse – eine Lüge, die ihn in größte Schwierigkeiten hätte bringen können –, und so gelang es ihm, Rykalow mehrere Male zu besuchen. Der frühere Boxer war schwer krank. »Ich dachte, es sei das Ende«, schrieb er Lew später. »Die Krankheit hatte mich in die Knie gezwungen, und ich dachte, dass mich niemand mehr brauchte.« Doch Lews Besuche munterten ihn auf.
Lew wandte sich an Rykalows Schwester in Moskau, und sie schickte Pakete mit frischen Lebensmitteln und Medikamenten, die Lew ihm auf die Station brachte. Rykalow war inzwischen so niedergeschlagen, dass er meinte, sein neunjähriger Sohn wolle ihn nicht mehr sehen. Sein Gesicht hatte sich durch Gelbsucht verfärbt, und er hatte Angst, in einem so schwachen Zustand
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