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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Gulagbosse konnten sich mit diesen »Leibeigenentheatern« und »Leibeigenenorchestern« schmücken, und sie feilschten miteinander um die besten Musiker und Schauspieler. Verschiedene Fußballmannschaften (für Eisenbahnarbeiter, Schiffbauer und das Personal des Holzkombinats) wurden aus Häftlingen und freiwilligen Arbeitern zusammengestellt. Diese Teams traten zu ihren Spielen in dem neuen Stadion neben dem Kulturpalast an. Wenn es zu einem bedeutenderenMatch zwischen einer Mannschaft aus Petschora und Besuchern aus einem anderen Gulag-Ort kam, ließ man Häftlinge, wiederum unter Bewachung, zum Stadion marschieren, damit sie ihr Team anfeuerten.
    All diesen Entwicklungen lag der Gedanke zugrunde, wonach der Gulag als eine Parallelgesellschaft zur sowjetischen funktionieren sollte, in der die Häftlinge durch Propaganda und kulturelle Aktivitäten umerzogen und zu Sowjetbürgern »umgeschmiedet« würden. Die Vorstellung, Häftlinge durch Arbeit zu besseren Menschen zu machen, war von zentraler Bedeutung für die Gulag-Gründungsideologie in den frühen 1930er Jahren gewesen. Im weiteren Verlauf jenes Jahrzehnts geriet dies jedoch weitgehend in Vergessenheit, denn die maximale Ausbeutung und Bestrafung von »Volksfeinden« wurde zum Hauptzweck der Lager. Seit dem Ende der 1940er Jahre aber, als die Gulagführung nach Wegen suchte, wie sie die Häftlinge motivieren könnte, kehrte man wieder zu der ursprünglichen Idee zurück. Im Holzkombinat führte die Partei ein Programm ein, durch das man den Insassen industrielle Fertigkeiten beibringen wollte. Im Jahr 1950 wurde eine »Ausbildungsanlage« am Standort der kurz zuvor stillgelegten 1. Kolonie in der Straße des 8. März organisiert. Dort konnten »verdiente« Häftlinge in ihrer Arbeitszeit Geodäsie, Topografie, Eisenbahnbau und Ingenieurwesen studieren. Die Dozenten waren ausnahmslos ehemalige Insassen.
    Lew wurde nicht dafür ausgewählt, hatte aber ohnehin bereits begonnen, eine kleine Gruppe von Arbeitern im Kraftwerk informell zu unterrichten, darunter einen 23-jährigen Heizer in Mathematik und einen 30-jährigen Monteur, den er eine Art Ingenieurlehrgang absolvieren ließ. Er eignete sich gut für die Lehrerrolle, denn er war verständnisvoll, umgänglich und weithin beliebt, weshalb viele bei ihm praktischen Rat einholten. Anderen zu helfen entsprach außerdem seinem Bedürfnis, einen höheren Zweck im Lager zu finden.
     

    Terlezki im sibirischen Exil mit Irina Jewgenjewna Preobraschenskaja, der Tochter des bolschewistischen Ökonomen Jewgeni Preobraschenski
     
    Lew war sich seiner privilegierten Stellung im Lager überaus bewusst und fühlte sich stark verpflichtet, weniger begünstigten Häftlingen zu helfen. Seit achtzehn Monaten hatte er in Briefen an die MWD-Behörden nach der Adresse seines armen Freundes Terlezkigefragt. Im Juli erfuhr er endlich, dass man Terlezki aus dem Sonderlager Imta entlassen hatte und dass er in einem kleinen Dorf in der sibirischen Region Krasnojarsk im Exil lebte. Lew schickte ihm einen Brief und eine Überweisung, doch das Geld kam mit einem kurzen Vermerk, wonach »finanzielle Unterstützung nicht erforderlich ist«, wieder zurück. In Lews Augen war diese Weigerung, seine Hilfe zu akzeptieren, typisch für Terlezkis Stolz. »Also ist er zweifellos noch am Leben, wahrscheinlich gesund und so dickköpfig wie immer«, schrieb Lew an Sweta. »Er tut mir wirklich leid, und ich nehme es ihm überhaupt nicht übel, dass er nicht antwortet. Wenn ich sicher sein könnte, dass meine Briefe ihm keinen Schmerz bereiten, würde ich ihm weiterhin auch ohne Reaktion seinerseitsschreiben. Ach, Ljubka, du Narr! Trotz seines herausragenden Intellekts benimmt er sich manchmal wie ein Kind.«
    Lew machte sich nicht weniger Sorgen um Oleg Popow, den jungen Halbletten in der Elektrogruppe. Im Februar 1948 war Popow in die 3. Kolonie verlegt worden und zwei Monate später zurückgekehrt, offensichtlich traumatisiert durch seine Erfahrungen in dem strengen Regime der Strafkolonie, wo er in einem Schlepperteam eingesetzt worden war. »Seine Hände sind von Frostbeulen bedeckt, er hat stark abgenommen, und seine Augen haben einen seltsamen Blick«, bemerkte Lew. Er war beunruhigt darüber, wie sehr sich sein Freund verändert hatte. »Nachdem Oleg mich besucht hatte, konnte ich an nichts anderes denken«, schrieb er Sweta. »Mein Gewissen macht mir aus zwei Gründen zu schaffen: weil ich vielleicht teilweise für sein Schicksal

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