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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Spaß mit mir herum … ein unscheinbares, weißes Pulver; geruchlos, geschmacklos, aussehend wie ein Make-up-Puder.« Er öffnete die flache Schachtel. Als Gerholdt sie anfassen wollte, hielt er ihm die Hände fest. »Bitte nicht. Sie könnten etwas an den Finger und dann in den Mund bekommen!«
    »Und was ist das?« fragte Gerholdt interessiert.
    »Chiquaqua.«
    »Chiquaqua?«
    »Eine gemahlene, in der Sonne gebleichte Wurzel aus dem Urwald am Madeira. Die dortigen Indianer verwenden das Pulver für ihre Speere und Pfeile. Sie kneten aus ihm einen Brei, mit dem sie ihre Waffen einschmieren. Ein Ritz mit diesem Pulver bedeutet den sicheren Tod. Ein Lähmungstod, wie er sicherer mit Curare nicht zu erreichen ist! Dabei nicht so grausam. Langsam schläft man ein … wie bei einem starken Schlafmittel. Dann – wenn die Gehirnnerven schon gelähmt sind, erfolgt erst die Lähmung des Körpers, der Atmungsorgane, der Tod. Ein geruhsamer, humaner Tod.«
    »Ein herrlicher Tod!«
    »Wie man's nimmt, Herr Gerholdt.«
    Gerholdt betrachtete die kleine Schachtel mit dem weißen, unscheinbaren Pulver. Es ist gnädiger als Zyankali, dachte er schaudernd. Es ist ein Wunschtod, ein Sichwegstehlen aus dieser Welt.
    »Können Sie mir dieses Pulver hierlassen?« fragte er langsam. Der Vertreter blickte Gerholdt verblüfft an.
    »Was wollen Sie mit Chiquaqua?«
    »Meine Tochter studiert in Bonn Medizin. Es wird sie bestimmt interessieren. Vielleicht könnten wir Experimente damit machen, die unsere medizinische Wissenschaft verblüfft. Man kennt dieses Gift doch noch nicht in Deutschland?«
    »Es dürfte ein wohl fast unbekanntes Toxin sein. Nur in Südamerika weiß ein kleiner Kreis Urwaldläufer von diesem Chiquaqua. Ich erhielt es von einem Händler, der von Madeira zurückkam.«
    »Können Sie es mir verkaufen?«
    Der Vertreter schob die Unterlippe vor. »Es ist zu gefährlich, Herr Gerholdt. Eine Unachtsamkeit –«
    »Ich werde es in meinem Panzerschrank verwahren und es selbst überwachen. Im übrigen glaube ich nicht an eine solche Giftigkeit, denn wenn Sie dieses Pulver so in der Welt herumtragen –«
    »Eben weil es so gefährlich ist, schleppe ich es mit mir herum. In einer Bleidose, wie Sie sehen. Ich habe zwei kleine Kinder zu Hause. Es wäre unausdenkbar, wenn …« Er schwieg und klappte den Deckel der Dose zu.
    »Ich gebe Ihnen tausend Mark für das Pulver.«
    »Soviel ist es Ihnen wert?«
    »Wenn meine Tochter mit den Experimenten ein Sonderlob bekommt, ist es mir noch mehr wert.«
    »Ich schenke es Ihnen!« Der Vertreter schob die Dose zu Gerholdt über den Tisch. »Aber auf Ihre eigene Verantwortung, Herr Gerholdt! Sollte ein Unglück passieren, weiß ich von nichts. Ich habe dieses Pulver nie besessen.«
    Mit beiden Händen umschloß Gerholdt die kleine, schwere Bleidose. Dann trug er sie vorsichtig in die Ecke seines großen Büros und verschloß sie in seinen Panzerschrank.
    Chiquaqua, dachte er. Der gnädige Tod –
    Mit einem Ruck warf er den Kopf in den Nacken. Die letzte Waffe des Schicksals hatte er ihm aus den Händen geschlagen – die Angst vor dem Tod.
    Er erzählte niemandem von diesem Pulver aus Südamerika. Rita nicht, auch nicht Dr. Schwab. Eines Abends nahm er es mit in sein weißes Haus am Rhein und verschloß es in dem kleinen Tresor neben seinem Bett im Schlafzimmer.
    Nur in seinem Tagebuch, seiner Lebensbeichte, trug er die kurzen Sätze ein:
    »Wenn meine Vergangenheit wieder lebendig werden sollte und alles vernichtet, was ich heute geschaffen habe, so weiß ich jetzt, daß ich die Gerechtigkeit noch einmal betrügen werde! Es wird mein letzter Betrug sein – und ich habe keine Angst mehr davor …«
    So kam jener Studentenball heran, an dem Rita den jungen Mann bei einem feurigen Cha-Cha-Cha kennenlernte.
    Es war ein netter, großer, blonder, lustiger und blauäugiger Mann, der Rita immer wieder zum Tanzen holte und in seiner jungenhaften Art mit ihr plauderte.
    Er studierte Physik und Chemie und stand wie Rita kurz vor dem Staatsexamen.
    »Ich möchte einmal die Welt revolutionieren«, sagte er lachend, als sie zusammen an der Sektbar hockten und den prickelnden Wein aus langen Kunststoffstrohhalmen tranken. »Sehen Sie hier, Fräulein Gerholdt – Kunststoff. Die Theke – Kunststoff! Worauf wir sitzen – Kunststoff. Der Fußboden – Kunststoff. Sogar Ihr Kleid und – Verzeihung – Ihre Perlonunterwäsche – ich nehme an, Sie tragen Perlon, wie könnte es anders sein? – alles, alles

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