Schicksal des Blutes
seine Finger vor, wollten auf den Notrufknopf drücken, doch er hielt inne. Vielleicht war es besser so.
Die glühende Speerspitze rammte die Nase des Jets, riss sie entzwei und versetzte der Maschine einen Stromstoß. Das Licht erlosch. Die Frontscheibe zerbrach. Ein Tornado erfasste ihn, schleuderte ihn mit Wucht durch das Cockpit an die Decke.
„Du kommst mir nie wieder in die Quere, Priesterblut!“
Das Flugzeug raste im Sturzflug hinab. Getöse und Druck sprengten Nyls Tromme l felle. Ein Metallgegenstand krachte ihm an die Schläfe. Finsternis erlöste ihn von se i nen Schmerzen.
Freetown – Sierra Leone – 4. Mai 2011
A
my notierte zuerst alle ihr einfallenden Fragen stichwortartig im Smartphone, dann gliederte sie diese nach Vampir und Mensch, Gegenwart und Vergangenheit.
Neben Ny’lanes Leben standen der hinterhältige Bliss di Mandrel und das ‚Ekstase‘ ebenso ganz oben wie Nyls Geliebte Elisabeth und der Ku-Klux-Klan. Sie versuchte, die Themen von außen zu betrachten, unemotional wie immer. Fakten zusammenzutragen und daraus Schlüsse abzuleiten. Dennoch beschlich das Gefühl sie ständig, gegen sich selbst zu ermitteln. Die Erkenntnis, dass Nyl eine Beziehung zu einer Weißen gehabt hatte, sickerte erst allmählich in ihr Bewusstsein. Was verschwieg Ny’lane noch?
Sie sollte sich ihre eigene Geschichte näher ansehen, die es zum Teil in Geschichtsbücher geschafft hatte. Seit sie wusste, was sich hinter ihrer Familie verbarg, hatte sie es vermieden, nein, kategorisch abgelehnt, tiefer in der eigenen Vergangenheit zu wühlen. Was sie bisher mitbekommen hatte, genügte, um sich abgrundtief zu schämen und abzukapseln. Aber nun blieb ihr keine Wahl. Was gut war, sie war viel zu lange vor der Wahrheit weggelaufen. Damals, vor fünfzehn Jahren, als Dad abgeführt worden war, hatte Mom sie von allem abgeschottet, sie zurück ins Privatinternat geschickt, was ihr nur recht war. Doch nun war sie erwachsen, und wenn Brandon entlassen wurde, wollte sie ihm erhobenen Hauptes gegenübertreten. Sie war kein kleines Kind mehr und der Widerling würde das begreifen, sobald sie mit ihm Klartext redete. Und das konnte sie nur, wenn sie Bescheid wusste. Nun hatte sie mehrere Gründe, alles über ihre Vergangenheit in Erfahrung zu bringen und würde danach womöglich inneren Frieden finden. Wie immer ging sie klar strukturiert vor und recherchierte wie besessen über Satellit im Internet, bis ihr auf der dritten Flugstrecke von England nach Westafrika irgendwann die Augen zufielen.
Amy lehnte sich an die Rückenlehne des Stuhls. Sie saß in einem einfachen Büro des Lungi Airports und lauschte dem Regen, der gegen die Fenster prasselte. Sie wartete auf die Rückkehr des netten Managers, zu dem man sie gebracht hatte, als sie nach den Ankünften der Privatflugzeuge fragte. Nach einem Gespräch hatte er in einer ihr unbekannten Sprache telefoniert, vielleicht das für Sierra Leone typische Krio, und bat sie, zu warten. Eine Dame brachte eine Flasche Wasser, die Amy gierig leerte. Das Klima machte ihr zu schaffen. Es war feucht-heiß und die Klimaanlage lief nicht. Wo blieb er bloß? Allmählich wunderte sie sich über sein langes Fortbleiben. Sie hatte nur wissen wollen, wann Mr. Bavarro gelandet war und ob er eine Ahnung hätte, wohin dieser aufgebrochen sein könnte. Nyls Name war dem Mann auf jeden Fall bekannt, das hatte sie ihm angemerkt, obwohl er sich bemüht hatte, es zu verbergen.
Amy fächerte sich mit der Handfläche Luft zu. Sie sah auf die Armbanduhr und stand auf. Das reichte. Wenn sie nicht so schnell wie möglich seiner Spur folgte, war sie kalt und sie würde Nyl in dem fremden Land niemals finden.
Die Tür sprang auf und donnerte gegen die Wand. Amy zuckte zusammen. Augenblicklich richteten sich ihre Härchen an den Armen auf. Ein Generalmajor betrat rasch den Raum. Vielleicht war er auch nur Lieutenant oder sie trugen hier gelbe Streifen auf den Schulterklappen wie in Südafrika. Sein bärtiges Gesicht offenbarte eine Mischung aus Wut und Häme. Das gefiel ihr nicht. Hier war etwas ganz und gar nicht in Ordnung, vor allem, weil der Manager hinter ihnen die Tür abschloss. Nett. Was war bloß mit ihrer Intuition passiert?
„Miss, Ihren Pass!“, zischte er durch eine Zahnlücke, die Blicke an sich zog.
„Bitte.“ Amy sah dem gleichgroßen Armeeirgendwas unumwunden in die Augen. Da er nicht reagierte, wiederholte sie es mit scharfer Stimme. „Ihren Pass, bitte,
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