Schicksal des Blutes
intolerant verhielt. Im Gegenteil! Sie hatte als Betsy Star so vielen mit ihrer Arbeit geholfen. „Oh Gott, Amy“, flüsterte Cira. Ihre Gedanken flogen umher. Wie konnte sie Amy helfen?
Jonas grollte, meinte aber nicht sie. Er ließ sein Handy in die Hosentasche zurückgleiten. Die Spitzen seiner Fänge zeigten, wie wütend Jonas war, obwohl sein Gesichtsausdruck nichts dergleichen offenbarte. „Nyl geht nicht dran. Wenn ich den zu fassen kriege …“
„Deshalb?“ Cira deutete auf das Foto.
„Auch, aber vor allem, weil er auf Amy aufpassen und sie nicht in noch größere Schwierigkeiten bringen sollte. Warum sagt sie, sie fliegt allein nach San Francisco zurück? Wieso geht der Mistkerl nicht ran? Weshalb sagt er nie irgendwem, wo er sich aufhält, was er tut? Ich erwürge ihn, wenn er Amy in Gefahr gebracht hat.“
Cira machte sich ebenfalls Sorgen, dennoch glaubte sie weiterhin an das Gute in Nyl, der sie das eine oder andere Mal mit seiner sensiblen Art überrascht hatte. Zum Beispiel, als er sie noch menschlich in letzter Sekunde vor Jonas’ unbändiger Sucht gerettet hatte. Sie legte Jonas die Hand auf den Arm und sandte ihm beruhigende Gefühle, die sogleich Wirkung zeigten. „Ny’lane hat wie wir alle seine eigenen, tief sitzenden Probleme.“ Jonas schnaufte. „Außerdem ist er ein sehr männlicher Vampir, wie du.“ Sie zwinkerte Jonas zu, denn sie brauchten jetzt einen kühlen Kopf, um die Situation, um Amy und vielleicht Nyl zu retten. „Wir sollten weiterhin versuchen, sie zu erreichen und sofort mit der Schadensbegrenzung bei der Tageszeitung anfangen. Die Folgeartikel dürfen nicht erscheinen. Wir brauchen …“
„Schon da“, rief Samantha ihnen zu und bremste scharf. Sie saß nach Timothy von der schwarz-gelben BMW ab und kam auf sie zugeschlendert, als wäre sie die ganze Zeit nur spazieren gegangen und nicht wie eine Irre auf ihrem Superbike durch San Francisco gebrettert. Sam flocht sich einen langen Zopf aus den nassen Haaren. „Eure Gefühle waren alarmierend genug, um aufzubrechen. Was ist los?“
Timothys blonde Wellen glänzten ebenfalls nass und tropften beim Lesen auf die Zeitung. Der Berg von Mann sog schneidend die Luft ein und stieß sie wieder aus, als hätte er Ähnliches kommen sehen. Timothy war ihr immer noch ein Rätsel.
Sam knüllte das Papier zusammen. „Wie lautet Amys Pseudonym?“
Die Frage konnte nur von ihrer Tochter kommen. Doch sie würde Sam, Jonas und Timothy ihr Leben anvertrauen und jetzt würden sie gemeinsam um Amys kämpfen, also brach sie ihr jahrzehntelanges Schweigen. „Betsy Star.“
„Betsy Star?“, echoten alle drei wie aus einem Munde. Cira nickte.
Sam sprang zurück auf die Maschine. „Ich kenne jemanden ziemlich weit oben bei dem Schmierblatt. Wir verhindern die Folgeblätter. Kommt!“
~ ~
Ny’lane erwachte jäh, als jemand ihm auf den Brustkorb schlug. Seine Hand schnellte vor, packte die Kehle, zerrte sie unnachgiebig heran, bevor er die Augen öffnete. Er sah kaum etwas außer den Schatten der Nacht. Sein Geruchssinn suggerierte, einen fünfzigjährigen Fischer in der Klaue zu halten, sein Tastsinn, in einem Zugnetz verheddert auf den Planken eines stinkenden Kutters zu liegen. Das Schiff schwankte wie sein Mageninhalt. Sie waren allein auf hoher See.
Er ließ den Kopf zur Seite kippen und erbrach Salzwasser, während sein Körper krampfte. Das erstickte Röcheln des Seemannes erstarb, als er seine Reißzähne in der Halsschlagader versenkte und seinen Griff in den Nacken verschob. Gierig saugte er das bittere Blut des Mannes in seinen Organismus. Er roch nicht nur Fischkadaver, Tang und das Salz des Meeres, sondern auch verbrannte Haut. Was erklärte, warum er meinte, unerträglich zu brennen. Er sollte Gott danken, den Absturz überlebt zu haben, doch danach war ihm ganz und gar nicht. Er war das gefährlichste Raubtier auf Erden. Skrupellos durch Sucht. Stark durch Blut. Und einzig er, verloren in der blinden, glühenden Hölle seiner Seele, die alle verderbten Gedanken jedes Lebewesens verinnerlichte, verkümmerte und versagte ihm auf ewig eine Zukunft außerhalb seines finster schwelenden Infernos.
Nyl löste sich von dem Hals des Fischers und leckte widerwillig über die kratzige, salzige Haut, um die Wunde zu verschließen. Für den Kerl hoffte er nur, dass er nahe der Küste fischte, sonst würde er sich immer wieder an ihm vergehen. Das Recht des Stärkeren, eines Tieres. Er überprüfte, ob er
Weitere Kostenlose Bücher