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Schicksal in seiner Hand

Titel: Schicksal in seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Thomas Bruckner
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Metallenes Klicken ertönte. Die kleine Blutfontäne, die aus der durchtrennten Ader hochgespritzt war und die grüne Mütze des Professors mit winzig roten Perlen übersät hatte, versiegte.
    »Diathermie!«
    Es zischte und roch ein wenig nach verbranntem Fleisch. Klirrend fiel die abgenommene Klemme auf den kleinen Instrumententisch zurück.
    »Skalpell!«
    Thomas Bruckner sah zu, wie sich das Messer seinen Weg in die Tiefe bahnte, er sah das gelbe Fett aus der Wunde hervorquellen und dann das grau schimmernde Bauchfell.
    Professor Bergmann zögerte. Eine Schwester eilte herbei und wischte ihm mit einem weißen Tuch über die Stirn. Der alte Herr wirkte abgespannt und erschöpft, aber mit ungeheurer Energie bezwang er seine Schwäche. Das beängstigende Zittern seiner Hände verschwand, sobald er mit dem Skalpell das Gewebe berührte und in die Tiefe drang.
    Mit wachsender Spannung beobachteten alle nun, wie der Professor mit Hilfe einer Pinzette das Bauchfell an einem Zipfel anhob. Er schnitt es mit einer Schere ein. Unendlich vorsichtig schoben seine sehnigen Hände eine Sonde ins Innere des Sackes vor und schlitzten ihn auf, wie man einen gefüllten Beutel aufschneidet, um an seinen Inhalt zu kommen.
    Die Kranke bewegte sich und stöhnte leise.
    »Vertiefen Sie die Narkose!« rief er dem Anästhesisten zu. »Die Patientin soll schlafen, nicht Sie!«
    Er wartete, bis die Kranke wieder still und ruhig dalag. Dann griff er vorsichtig ins Innere der Bauchhöhle. Seine Finger suchten, fühlten … Keine Miene auf seinem Gesicht verriet, was die geheimnisvolle Tiefe in sich barg. Es dauerte lange, bis der Professor seine Hand wieder herauszog.
    »Nun?« drängte der Oberarzt. Er trat hinter seinen Chef und wischte ihm selbst den Schweiß von der Stirn, der in kleinen Rinnsalen das Gesicht herunterzulaufen begann.
    »Es scheint ein Ulcus am Magenausgang zu sein, wie wir es angenommen haben.«
    Die Spannung löste sich. Aller Augen waren schadenfroh auf Dr. Bruckner gerichtet. Der junge Arzt fühlte eine Glutwelle in sich aufsteigen. Warum war er nicht seinem ersten Impuls gefolgt und hinausgegangen? Dann wäre ihm diese öffentliche Demütigung erspart geblieben.
    »Die ganze Pylorusgegend ist hart, wie man es eben bei alten Geschwüren findet. Wir hatten vor vierzehn Tagen einen ähnlichen Fall – die Lehrerswitwe –, entsinnen Sie sich?«
    Der Geheimrat kam ins Dozieren. Dr. Bruckner war froh, daß die Aufmerksamkeit von ihm abgelenkt wurde. Die Assistenten lauschten interessiert den Worten des Chefs.
    »Der Magenausgang war bei dieser Frau von Narben direkt zugemauert. Nur ein dünner Kanal war noch verblieben, durch den nichts als etwas Flüssigkeit kam. Es sah aus wie ein Rohr, das fast völlig von Kesselstein zugesetzt ist. Genauso scheint der Befund hier zu liegen.«
    »Sie sehen, Herr Bruckner«, erklang die spottende Stimme Dr. Wagners, »mit Schulwissen allein kommt man nicht weiter im Leben. Dazu gehört eine jahrelange Erfahrung, die man sich nur im Operationssaal erwirbt. Protektion kann zwar zu einer Stelle verhelfen, aber niemals Wissen ersetzen.«
    »Wenn der neue Kollege aus seinen Fehlern lernt, kann noch etwas aus ihm werden«, unterbrach der Professor seinen Oberarzt. »Auch ich kann mich irren. Die endgültige Diagnose werden wir erst dann stellen können, wenn wir das Geschwür freigelegt und vor Augen haben. Klemmen, Schwester!«
    Bruckner beobachtete im Lampenspiegel noch eine Weile, wie der Professor die dicken Adern, die zum Magen führten, einzeln unterband, bevor er sie durchtrennte. Er mußte vorsichtig zu Werke gehen und die Verwachsungen lösen. Es waren viele Adern, die unterbunden werden mußten.
    Thomas Bruckner wußte nicht, was er hier noch sollte. Vor einer Stunde war er guter Dinge gewesen, war voller Hoffnung hereingekommen, und nun – war alles vorbei. Langsam ging er zur Tür. Hier blieb er noch einmal stehen. Er schaute zurück und lauschte dem schnappenden Geräusch der zusammengedrückten Klemmen, dem Klicken der Schere, die einen Faden abschnitt, dem Klappern der Instrumente, die auf den Tisch der Schwester zurückgeworfen wurden …
    Vorsichtig drückte er die Tür auf, ohne daß sie ein Geräusch machte, und schloß sie lautlos hinter sich. Wie im Traum ging er den langen Korridor entlang. Wohin sollte er gehen? Er wußte es nicht.

4
    Professor Bergmann hatte den Magen freigelegt. Graublau wie Schiefer lag er in der Bauchhöhle. Die Blutgefäße, die von zwei

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