Schicksal in seiner Hand
wieder seufzte er, richtete sich einen Moment auf und ließ sich den Schweiß abwischen. Schwester Angelika assistierte ihm äußerst geschickt. Gelegentlich, wenn er einmal kurz zögerte und nicht so recht weiter wußte, gab sie ihm mit leiser Stimme einen wohlmeinenden Rat.
Da flog die Tür auf. Wütend stürmte Oberarzt Wagner in Hut und Mantel herein.
»Was fällt Ihnen ein«, schrie er Dr. Bruckner an, »hier einfach zu operieren? Sie haben gefälligst zu warten, bis ich mir den Fall angesehen habe. Die Entscheidung über eine Operation liegt ausschließlich bei mir. Besonders jetzt, wo der Chef nicht da ist. Hören Sie sofort auf!«
Er hetzte zum Schaukasten, betrachtete die Röntgenbilder und griff sich dann mit einer unmißverständlichen Geste an die Stirn.
»Ungeheuerlich, bei so einem Befund!« brüllte er, krebsrot im Gesicht. »Hören Sie sofort auf, Sie … Sie Anfänger! Sie sind entlassen! Haben Sie mich verstanden? Entlassen, und zwar sofort!«
Dr. Bruckner war leichenblaß geworden. Das Skalpell in seiner Hand zitterte so stark, daß er es absetzen mußte.
»Na, wird's bald? Legen Sie sofort das Messer weg, und verschwinden Sie!« In drohender Haltung näherte sich Oberarzt Wagner dem Operationstisch.
»Hinaus!« Er packte Bruckner am Kittel und versuchte, ihn gewaltsam wegzuzerren. »Wer … wer hat Ihnen überhaupt den Auftrag gegeben«, keuchte er, »hier zu operieren?«
»Ich!«
Erschrocken ließ Dr. Wagner sein Opfer los und fuhr herum. In der Tür stand Yvonne Bergmann. Langsam kam sie näher.
»Ich habe Herrn Dr. Bruckner gebeten, meinen Mann zu operieren.«
»Sie, Frau Professor?« Er starrte sie entgeistert an. »Ja, aber …« Und dann begriff er die ganze Wahrheit. »Der Chef wird jetzt operiert, der Chef?«
Er fuchtelte wütend mit beiden Armen in der Luft herum. Das hatte sich dieser Bruckner ja wirklich gut ausgedacht! Machte der Gnädigen schöne Augen, pries seine chirurgische Kunst, schimpfte natürlich über den unfähigen Oberarzt und beschwatzte die Ahnungslose zu einem derart verhängnisvollen Schritt. Das Protektionskind operierte heimlich in der Nacht den Chef … an einem Magenkarzinom! Und er glaubte das Märchen von der verspäteten Hochzeitsreise!
»Wie können Sie Ihren Gatten so einem blutigen, unbegabten Anfänger ans Messer liefern?« fuhr er Yvonne Bergmann an. In seiner Wut verzichtete der Oberarzt sogar auf seine Unterwürfigkeit der Frau des Chefs gegenüber. »Bei so einem Befund! Das ist Mord, glatter Mord! Jawohl! Einen solch riskanten Eingriff hätte ich mir nicht einmal selber zugetraut.«
»Es war der ausdrückliche Wunsch meines Mannes«, erwiderte Yvonne Bergmann kühl.
»Was? Nein, das ist ein Lüge! Das kann nicht stimmen! Entschuldigen Sie, aber ich kenne die Ansicht des Herrn Professors über jenen jungen Mann dort sehr genau.«
Yvonne nahm das braune Kuvert auf, das die Röntgenbilder enthalten hatte, und reichte es Dr. Wagner.
»Bitte, hier ist der Beweis. Mein Mann hat die Bilder an Dr. Bruckner schicken lassen.«
Der junge Assistenzarzt schaute erstaunt hoch.
Fassungslos griff Theo Wagner nach dem Umschlag, las die Aufschrift und schüttelte dann den Kopf. »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr«, sagte er in kläglichem Ton und blickte ratlos um sich.
»Daß Sie mich eine Lügnerin genannt haben, will ich Ihrer augenblicklichen Erregung zuschreiben und es vergessen. Daß Sie im OP herumschreien, ist Angelegenheit meines Mannes. Er wird das regeln, sobald er wieder gesund ist.«
Überlegen wandte sich Frau Bergmann ab. Sie blickte forschend zu Thomas Bruckner hin. In ihren Augen lag eine bange Frage.
»Ich glaube, wir haben die besten Aussichten.«
Dr. Bruckner hatte sich nicht beirren lassen und die Operation zu Ende geführt. Jetzt hielt er den abgetrennten Tumor mitsamt dem entfernten Magenteil in der Hand.
»Soweit ich es im Augenblick beurteilen kann, hat Ihr Gatte Glück gehabt, gnädige Frau. Der Krebs scheint sich auf den Magenausgang beschränkt zu haben. Was ich für das Einwachsen in die Bauchspeicheldrüse hielt, sind nur große Narbenmassen. Der Krebs hat sich sicher auf dem Boden eines alten Magengeschwürs entwickelt. Metastasen sind meiner Feststellung nach nicht vorhanden.«
»Blutdruck wieder normal«, verkündete Dr. Rademacher.
Ilse Kurz erhob sich. Sie sah erschreckend blaß aus. Als sie sich wieder an den Operationstisch stellen wollte, taumelte sie.
»Ich kann allein zunähen. Bitte, legen
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