Schicksalsmord (German Edition)
damit oft auch meine Mutter traf. „Der hat dich nur geheiratet, weil er bei deinen Eltern noch Vermögen vermutete“, war eine seiner häufiger angebrachten Kränkungen. Nicht nur Eifersucht, sondern zweifellos auch Neid trieb meinen Vater um. Still, fleißig, bescheiden und wenig durchsetzungsfähig war er immer der kleine Sparkassenangestellte mit dem kleinen Einkommen geblieben. Gernot Schwarz dagegen kleidete sich elegant, fuhr teure Wagen und war regelmäßig auf dem Tennisplatz anzutreffen. „Das kann unmöglich alles von seinem Gehalt kommen“, giftete mein Vater. „Der nimmt die dummen Frauenzimmer aus, die ihm hinterherlaufen.“ Der lange Schatten des ersten Ehemannes verdunkelte die Ehe meiner Eltern immer mehr, das chronische Magenleiden meines Vaters verschlimmerte sich und in das schöne Gesicht meiner Mutter gruben sich tiefe Falten, die es wie eine tragische Maske aussehen ließen.
Ich weiß nicht mehr, wann uns Kindern eigentlich richtig aufging, wer Lydias leiblicher Vater war. Von einem bestimmten Zeitpunkt an wurde offen in der Familie darüber gesprochen, an ein vorausgehendes aufklärendes Gespräch kann ich mich nicht erinnern. Vor uns Kindern waren sich die Eltern insofern einig, dass sie sich darin übertrafen, ihn in den schwärzesten Farben zu malen. Irgendwann nannten Lydia und ich ihn deshalb in vertrauten Gesprächen nur noch den „schwarzen Mann“. Wir kamen uns sehr originell vor.
Natürlich wurde Lydia der Umgang mit ihrem Vater strikt untersagt. Ihre Reaktion darauf entzückte meine Eltern und wurde von ihnen gern weitererzählt. Sie habe den liebsten und besten Papa der Welt, hatte sie gesagt, einen anderen wolle sie gar nicht.
In Wahrheit traf Lydia ihren Vater jedoch heimlich. Ich weiß bis heute nicht, wann das begann, doch als ich es herausfand war ich neun und Lydia zwölf. An jenem heißen Tag war ich mit meiner Schulklasse in ein Schwimmbad außerhalb der Stadt gefahren. Lydia war am gleichen Tag mit ihren vier Freundinnen dort. „Das fünfblättrige Kleeblatt“ nannte meine Mutter die Mädchenclique, doch das Bild traf nicht ganz zu. Eher hätte man sie mit einem bunten Kinderwindrad vergleichen können: Die vier Mädchen waren die Flügel und Lydia die Perle in der Mitte, um die sich alles ununterbrochen drehte. Sie war diejenige, mit der jede der vier anderen gern eine exklusive Freundschaft gepflegt hätte. Ab und zu unternahm Lydia dann auch mit der einen oder anderen allein etwas, wovon die restlichen drei nichts wissen durften. Sie spaltete die Gruppe und hielt sie gleichzeitig mit der ihr eigenen Anziehungskraft zusammen. Jedenfalls wunderte ich mich, die vier Mädchen ohne Lydia auf dem Rasen sitzen zu sehen. Dann entdeckte ich sie: Einträchtig mit Gernot Schwarz auf einer Bank, angeregt schwatzend und schäkernd. In dieser Zeit war ich gerade ziemlich eifersüchtig auf Lydia. Sie ging regelmäßig zum Tennis, während mir die Eltern die heißersehnten Reitstunden versagten. Ich hatte keine Ahnung, dass Lydias Vater für die Kosten aufkam. So witterte ich nun also eine Chance, die bevorzugte Lydia bei den Eltern anzuschwärzen und tat das auch. Leider nahm die Sache dann einen für mich verhängnisvollen Verlauf: Die vier Freundinnen schworen Stein und Bein, Lydia sei die ganze Zeit über nur mit ihnen zusammen gewesen, meine Mutter versetzte mir für meine Verlogenheit ein paar schallende Ohrfeigen, und mein Vater rundete die Strafmaßnahme mit Stubenarrest ab. Lydia hätte mit dem Ausgang zufrieden sein können, sie war jedoch der Meinung, die Lektion für mich noch vertiefen zu müssen. Meine einzige beste Freundin hatte mir ihre unschuldige Schwärmerei für einen älteren Jungen anvertraut, und ich hatte mich mit Lydia darüber beraten. Plötzlich war das sorgsam gehütete Geheimnis Gegenstand öffentlicher Lästereien auf dem Schulhof, ich wurde schnell als Quelle des Verrats ausgemacht und nicht nur von meiner Freundin, sondern auch von den anderen Mädchen meiner Klasse dafür verachtet und geschnitten. Als ich zu Hause vor Kummer darüber weinte, gab sich Lydia ungerührt. „Nun merkst du selbst, wie es ist, wenn man verpetzt wird.“ Ich habe Lydia danach nie wieder verraten. Später wurde ich sogar ihre wichtigste Vertraute. Oftmals gab ich ihr nun Rückendeckung, wenn sie sich mit ihrem Vater traf. Gemeinsam gingen wir aus dem Haus, gemeinsam kehrten wir zurück und Lydia berichtete ausführlich, was wir angeblich unternommen hatten, ich
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