Schicksalsmord (German Edition)
brauchte nur ab und zu bestätigend zu nicken. Lydia war nun reizend zu mir, sie gab mir sogar Geld oder kaufte mir meine geliebten Pferdezeitschriften, die von den Eltern als unnütze Kinkerlitzchen abgetan wurden. Sie waren natürlich wirklich stets knapp bei Kasse. Gernot Schwarz jedoch war großzügig gegenüber seiner Tochter, offiziell verdiente Lydia das Geld allerdings durch Dienstleistungen für eine alte Dame, die sie regelmäßig aufsuchte. Unsere Eltern waren begeistert von ihrer Tüchtigkeit und ihrer Großzügigkeit mir gegenüber. „Du wirfst dein schwerverdientes Geld für Schnickschnack für Ulrike raus“, sagte meine Mutter manchmal vorwurfsvoll. „Ich mache es gern“ erwiderte Lydia dann nur strahlend. Es ist mir bis heute unbegreiflich, wie wir jahrelang mit diesen Schwindeleien durchkamen.
Vermutlich lag es nicht nur an Lydias Geschicklichkeit, sondern vor allem daran, dass unsere Eltern zunehmend von ihren eigenen Problemen in Anspruch genommen wurden und gar keine Zeit und Kraft mehr hatten, sich wirklich um uns zu kümmern. Als ich in die Pubertät kam, war bereits offensichtlich geworden, dass mein Vater seinen Alkoholkonsum nicht mehr im Griff hatte. Getrunken hatte er schon immer, bevorzugt Wein. Angeblich brauchte er zwei bis drei Gläser am Abend zur Beruhigung seiner Nerven. Die waren durch die Ungerechtigkeit seiner Vorgesetzten und die Mobbingattacken seiner Kollegen stets aufs Äußerste strapaziert. Irgendwann wurden aus den Gläsern Flaschen und mein Vater schaffte es nicht mehr ins Bett, sondern schlief betrunken auf dem Sofa ein. Zum Glück gelang es ihm dennoch jahrelang, stets pünktlich zur Arbeit zu erscheinen und dort nüchtern zu bleiben. Mutter muss schlimme Ängste ausgestanden haben, ihm könnte gekündigt werden und die Familie dadurch noch weiter finanziell abrutschen. In dieser Zeit entwickelte sich ihr Tick, alles aufzuheben. Jedes Stück Geschenkpapier, jedes Band wurden gefaltet und aufbewahrt, leere Gefäße aus Glas und Kunststoff türmten sich in allen Räumen und auch unsere zu klein gewordene Bekleidung stapelte Mutter in Schränken und auf Stühlen. Was selbst ihr zu schäbig erschien, wurde sorgfältig aufgetrennt und zu Putzlappen zurechtgeschnitten. Wir verfügten bald über so viele Putzlappen, dass wir den ganzen Ort damit hätten wienern können. Bei uns zu Hause wurde leider kaum noch saubergemacht. Es war auch praktisch schwer durchführbar, weil überall Gerümpel den Weg versperrte und kein Platz vorhanden war, etwas umzulagern. Mutter spann sich immer intensiver zu Hause ein und die wachsenden Trödelberge bildeten den Kokon, der sie schützen sollte. Sie ging nicht mehr aus, unsere sonntäglichen Spaziergänge mit den Eltern gehörten schon lange der Vergangenheit an. Sie hatten aufgehört, weil Vater auch dabei die Gelegenheit genutzt hatte, stets ein paar Gläschen zu trinken und dadurch zunehmend aggressiver wurde. Einmal war es sogar fast zu einem Streit mit Gernot Schwarz gekommen, Vater hatte ihn in seinem alkoholisierten Zustand wohl provoziert.
Mutter machte Lydia und mich zu ihren Verbündeten. Sie trug uns auf, im Haus nach versteckten Flaschen zu suchen, was bei der herrschenden Unordnung nicht einfach war. Trotzdem waren wir ziemlich erfolgreich dabei, was bei Vater zu gelegentlichen Wutausbrüchen führte. Natürlich behauptete er, überhaupt nicht abhängig vom Alkohol zu sein, wir würden nur bösartigerweise versuchen, ihn der einzigen Medizin für seine angeschlagenen Nerven zu berauben.
Das für Lydia und mich geltende Verbot, Freunde mit nach Hause zu bringen, wäre völlig überflüssig gewesen, wir hätten es ohnehin tunlichst vermieden, andere einen Blick in unsere Verhältnisse werfen zu lassen.
Allerdings gingen Lydia und ich ganz unterschiedlich damit um. Ich zog mich aus allen Kontakten zurück und nahm keine Einladungen mehr an. So brauchte ich auch selbst keine auszusprechen. Lydia scharte weiterhin Freundinnen um sich. Sie sprach sehr überzeugend von der Krankheit ihres Stiefvaters und seinem häuslichen Ruhebedürfnis, was alle verstanden. Das Geld ihres leiblichen Vaters ermöglichte es ihr, ihre Freundinnen ins Café oder Kino einzuladen. Ohnehin lag es gerade im Trend, auch Geburtstage auf diese Art zu begehen. Ich war Lydia unendlich dankbar dafür, dass sie auch an meinen Geburtstagen Kinobesuche oder ein gemeinsames Eisessen organisierte. Sie tat damit das für mich, was eigentlich in der Verantwortung
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