Schicksalsmord (German Edition)
eine Schwangerschaft erzwungen, die den ungeliebten Schwiegersohn der Schande eines unehelichen Kindes dann doch vorgezogen hatten.
Auf den zahlreichen Fotos, die sie mit der kleinen Lydia zeigen, spielt dann allerdings bereits ein wehmütiger Zug um ihre Lippen, was nicht verwunderlich ist. So unglaublich es klingt, ihr angebeteter Ehemann betrog sie bereits auf der Hochzeitsreise. Während meine Mutter unter heftigen Schwangerschaftsbeschwerden leidend auf ihrem Hotelbett ausruhte, amüsierte sich ihr frisch Angetrauter mit einer flotten, allein reisenden Urlauberin. Der Skandal wurde perfekt, als diese Dame ihn später in unserer Heimatstadt besuchte und es dort zu einem aufsehenerregenden Zusammenstoß mit seiner neuesten Liebschaft kam. Noch bevor Lydia das erste Lebensjahr vollendet hatte, wurde die Ehe auf Druck meiner Großeltern geschieden. Verwunden hat meine Mutter das allen erlittenen Demütigungen zum Trotz nie. Als ihre Eltern kurz darauf gemeinsam bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen, soll sie angeblich versucht haben, sich ihrem geschiedenen Mann wieder zu nähern. Ich habe nie herausgefunden, ob das eine Tatsache oder eine eifersüchtige Fiktion ihres zweiten Ehemannes, meines leiblichen Vaters, war.
Jedenfalls stand meine Mutter nach dem Tod ihrer Eltern mit ihrem Kind ganz allein da. Sie war durch ihre Erziehung sehr unselbständig und hilflos. Als sie auf der Sparkasse erfuhr, dass die noch vorhandenen Guthaben ihrer Eltern kaum die Beerdigungskosten decken würden, erlitt sie einen Schwächeanfall. Der junge Sparkassenangestelle Helmut Lange eilte ihr zu Hilfe und begleitete sie nach Hause. Er erkundigte sich am folgenden Tag fürsorglich nach ihrem Befinden und stand ihr von nun an beratend zur Seite. Sie nahm nicht nur seine Hilfe dankbar an, sondern einige Monate später auch seinen Heiratsantrag. Da war Lydia knapp zwei Jahre alt. Genau neun Monate später kam ich zur Welt.
Die Ehe meiner Eltern war nicht glücklich. Manchmal kam es mir vor, als wären wir alle nur Marionetten in einer Aufführung, die meine Mutter eigens für Gernot Schwarz inszenierte. Denn der blieb in Bödersbach, ließ sich zum Physiotherapeuten ausbilden und betrieb eine gutgehende Praxis, die besonders von den weiblichen Kurpatienten gern frequentiert wurde. Er sah immer noch blendend aus, heiratete nie wieder und hatte ständig wechselnde Freundinnen.
Meine Mutter jedoch spielte ihm das heile, glückliche Familienleben vor. Jeden Sonntag gingen wir in den Kurpark, wo auch Gernot Schwarz mit großer Sicherheit anzutreffen war. Begegneten wir ihm beim Kurkonzert, im Café oder flanierend auf den Wegen, so ergriff hektische Betriebsamkeit von meiner Mutter Besitz. Sie sprach und lachte unnatürlich laut, tätschelte unsere Köpfe und die Hand meines Vaters und versuchte auf jede erdenkliche Weise, Aufmerksamkeit zu erregen. Je älter ich wurde, und je mehr ich ihr Gebahren durchschaute, um so peinlicher wurden mir diese Auftritte. Und umso störrischer verweigerte ich meine Mitwirkung. Lydia dagegen war eine hinreißende kleine Schauspielerin. Instinktiv erahnend, was von ihr erwartet wurde, bereicherte sie ihre Rolle um eigene Nuancen. Meiner Mutter war offenbar besonders daran gelegen, ihrem Exmann das innige Verhältnis zwischen seiner Tochter und ihrem Stiefvater zu demonstrieren. Sie wusste wohl, dass sie ihn damit verletzen konnte. Denn was immer man gegen Gernot Schwarz vorbringen mag: Lydia, die trotz seiner zahlreichen Affären sein einziges Kind blieb, hatte er geliebt.
Auch mein Vater liebte Lydia. Sie war so ganz anders als ich: Unkompliziert, vor Gesundheit strotzend und reizend anzusehen mit dem dicken dunklen Haar und den dunklen Augen. Sie hatte ein anschmiegsames Wesen, passte sich jeder Situation an und war von ansteckender Fröhlichkeit.
Ich dagegen war von zarter Konstitution, ein stilles, unscheinbares, nervöses Kind, das oft kränkelte. Meinen Eltern galt ich als schwierig und undankbar, was so sicher nicht stimmte, doch neben Lydias stürmischen Liebes- und Dankbarkeitsbekundungen verblassten meine eher schüchternen Gefühlsäußerungen.
Meinem Vater tat Lydias Anhänglichkeit auch deshalb gut, weil er Zeit seines Lebens an den Gefühlen meiner Mutter für ihn zweifelte, was ihn immer verbitterter werden ließ und unser Familienleben vergiftete. Er ließ kaum einen Tag ohne irgendeine spitze Bemerkung gegen Lydias Vater verstreichen und schien nicht einmal zu bemerken, wie sehr er
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