Schicksalsmord (German Edition)
einfach übergangslos fort, so als habe das Wetter beschlossen, sich den Aufwand mit den unterschiedlichen Jahreszeiten zu ersparen und stattdessen durchgängig eine Melange anzubieten. Mir blieb jedoch wenig Zeit, mich mit Betrachtungen darüber aufzuhalten, ich hatte alle Hände voll zu tun. Mir und meiner Mutter stand der Umzug aus unserem Haus in eine nunmehr doch gemeinsame Wohnung bevor. Wir hatten uns für eine sehr schöne Dreieinhalbzimmerwohnung entschieden, lichtdurchflutet, ebenerdig und altersgerecht. Mutter bekäme ein Schlafzimmer mit daran anschließendem großen, behindertengerechten Bad. Das geräumige Wohnzimmer mit offener Küche würden wir mit Mutters Möbeln einrichten. Gut, dass es so viel Platz bot, denn Mutter wollte sich von nichts trennen. Für mich war das kleinere Schlafzimmer mit einem ebenfalls kleinen, aber zweckmäßigen Duschbad vorgesehen, außerdem würde ich in dem halben Zimmer, das mehr eine Nische zwischen Flur und Wohnzimmer war, meinen alten Schreibsekretär und meine Bücherregale unterbringen. Jetzt war es von Vorteil, dass ich nicht mehr besaß, bis jetzt hatte ich ja mit unseren alten Kinderzimmermöbeln gelebt, die nun auf den Sperrmüll wandern würden.
Ich hatte mir untersagt, der reizenden Dachwohnung, die ich ursprünglich beziehen wollte, noch weiter nachzutrauern. Die Situation ließ keinen anderen Weg zu, und es wäre müßig gewesen, deshalb mit dem Schicksal zu hadern. Lydias schwierige, ungeklärte Situation erforderte finanziellen Spielraum, den sie durch ihren Anteil am Gewinn aus dem Grundstücksverkauf nun erhielt. Wir alle hofften zunächst auf die Arbeit des Detektivs, und nach ihrer Entlassung würde sich Lydia ein neues Leben aufbauen müssen. Sie tat mir schrecklich leid und ich bewunderte die Energie, mit der sie den Kampf aufnahm.
Überraschende Energien wurden auch bei unserer Mutter freigesetzt. Sie, die immer wehleidig und leidend gewesen war, und sonst bereits unter geringen Belastungen zusammenzubrechen drohte, war wie ausgewechselt. Wegen ihrer schmerzenden Gelenke war sie kaum noch vor die Haustür gegangen. Alle meine Erklärungen, der Bewegungsmangel würde die Beschwerden verschlimmern, waren auf taube Ohren gestoßen, all meine Appelle, täglich doch wenigstens eine kleine Strecke spazierenzugehen, waren von ihr abgeprallt. Nun aber drehte sie, sorgfältig gekleidet und zurechtgemacht, täglich ihre Runden, auf einen Stock gestützt und die Schmerzen tapfer ignorierend. „Sollen die Leute etwa glauben, ich verstecke mich? Dafür gibt es keinen Grund, meine Tochter ist unschuldig.“, sagte sie stolz. Sie fühlte sich sogar gewappnet, neugierigen Fragen und dummen Kommentaren entgegenzutreten, doch strahlte sie so viel Würde aus, dass kaum jemand ihr zu nahe trat.
Ich besuchte Lydia so oft es möglich war. Wir hatten einen skurrilen Streit wegen Dietrichs Beerdigung gehabt. Unmittelbar nach der Freigabe des Leichnams hatte ich plötzlich einen Anruf von Dietrichs erster Frau erhalten, die mich sehr höflich um ein Gespräch bat. Ich traf auf eine gutaussehende, gepflegte Frau mit gewinnendem Auftreten. Ohne Umschweife machte sie mir den Vorschlag, Dietrichs Beerdigung zu übernehmen. „Wieso überrascht Sie das?“, fragte sie auf meinen erstaunten Blick hin. „Dietrich und ich waren fast 25 Jahre verheiratet und wir haben gute Zeiten miteinander gehabt. Wir haben eine gemeinsame Tochter und mein ehemaliger Mann hat sie und mich nach der Scheidung und für den Fall seines Todes gut abgesichert. Auch aus Letzterem erwachsen uns Verpflichtungen, dafür zu sorgen, ihn mit Würde unter die Erde zu bringen. Schließlich ist Ihre Schwester verhindert.“ Sie sagte das ganz neutral, ohne jeden erkennbaren Hintersinn „Und da sie sich bereits von Dietrich getrennt hatte, wird die emotionale Bindung nicht so groß sein, dass sie einer solchen Regelung nicht zustimmen könnte. Würden Sie bitte mit Ihrer Schwester sprechen und mir dann mitteilen, ob sie einverstanden ist.“
Ehrlich gesagt, ich war erleichtert. Meine Besuche bei Lydia und ihre ständigen Aufträge, die notwendige Räumung des Hauses und der Umzug, die Sorge, ob sich der Verdacht gegen Lydia ausräumen ließe – und das alles bei voller Berufstätigkeit – forderten mich bis an den Rand meiner Kräfte. Die Beerdigung von Dietrich konnte und wollte ich nicht allein organisieren. So empfand ich Edelburg Tanners Angebot als großherzig und seine Annahme als einen Akt der
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