Schicksalsmord (German Edition)
brauchte ich ein ganz anderes Alibi.
Ulrike war auch um 17:10 Uhr noch nicht da und weiterhin telefonisch nicht erreichbar. Noch länger konnte ich unmöglich warten und ging einfach los, ohne ihr eine Nachricht zu hinterlassen. Ich fürchtete, dass Ulrike gar nicht, Roland dafür aber früher kommen und den verräterischen Zettel an der Tür vorfinden könnte. Er würde sich dann zu Recht fragen, wo ich gewesen war.
Ich rannte nun fast und erreichte die Zuflucht kurz nach 17:30 Uhr völlig außer Atem. Es stand kein Wagen davor, also war Max noch nicht da. Er parkte immer direkt vor dem Eingang, während ich meinen Wagen früher jedes Mal in einer anderen Seitenstraße abgestellt hatte. Unbemerkt konnte ich das Grundstück betreten und ließ im Haus sofort die lichtundurchlässigen Jalousien herab. Eine Stunde lang wartete ich mit steigender Nervosität auf Max, dann gab ich auf. Obwohl ich es fast schon befürchtet hatte, dass er mich versetzen könnte, erfüllte mich die Tatsache mit Enttäuschung und Wut. Einen Moment lang überlegte ich sogar, ob Max der Absender der anonymen Postsendung sein könnte. Ein kleiner fieser Racheakt, weil ich ihn abserviert hatte – wieso eigentlich nicht? Doch dann verwarf ich den Gedanken. Sieben Jahre lang war nichts dergleichen geschehen und es hatte immer Phasen gegeben, in denen ich mich rar machte. Wahrscheinlich war es gerade deshalb so prickelnd geblieben. Ich versteckte den Umschlag in einer Nische hinter einem losen Brett im Wandschrank. Auf keinen Fall wollte ich ihn in Rolands Haus haben. Für Max hinterließ ich einen dringend klingenden Text in unserem toten Briefkasten. Auf dem Rückweg hoffte ich inständig, meine Schwester möge schon wieder fort sein. Aber das war sie nicht, obwohl es bereits nach 19 Uhr war. Wie ein geduldiges Schaf hatte sie die ganze Zeit über im Garten auf mich gewartet. Ihr Verhalten reizte mich so sehr, dass ich sie am liebsten nicht ins Haus gelassen hätte. „Du hast dich verspätet und warst telefonisch nicht erreichbar, ich dachte du kommst nicht mehr. Du verhältst dich einfach rücksichtslos!“, fuhr ich sie an, meine Verärgerung über Max auf sie übertragend.
„Können wir vielleicht drinnen weiterreden, mir ist inzwischen ziemlich kalt“, erwiderte sie, und ich schloss wortlos die Tür auf. „Lange wirst du dich hier nicht breit machen“, dachte ich grimmig, nachdem sie den Mantel abgelegt und hinter mir ins Wohnzimmer getreten war. Doch ehe ich etwas erklären konnte, hörte ich Roland das Haus betreten. Ich ging ihm rasch entgegen. „Meine Schwester hat sich etwas verspätet“, kam ich seiner Frage zuvor, „wir sind deshalb gleich hier geblieben.“ Ich wunderte mich, dass er schon da war, er hatte ursprünglich angekündigt, es könne auch bei ihm später werden, und ich solle mir deshalb für das Gespräch mit meiner Schwester Zeit lassen. Als wir gemeinsam das Zimmer betraten erhob sich Ulrike: „Ich suche mir jetzt ein Hotelzimmer und verabrede mich für morgen nochmals mit meiner Schwester, nicht wahr Lydia? Ich habe ja noch frei, und wir können dann in Ruhe reden.“
Ulrikes freundliche Unverfrorenheit machte mich sprachlos. Wie konnte sie derart über mich verfügen? Dass Roland mir dann auch noch in den Rücken fiel, indem er ihr das Gästezimmer anbot, machte das Maß voll.
Ich hatte mich wohl ziemlich von der Erinnerung überwältigen lassen, denn erst jetzt bemerkte ich Dr. Hoffmanns forschenden, besorgten Blick. „Frau Tanner, wollten Sie noch etwas ergänzen?“, fragte er. Ich schüttelte den Kopf.
„Gut“, sagte er gedehnt, „dann also zum nächsten Punkt, den Ergebnissen des Detektivs. Leider haben seine intensiven Nachforschungen bisher wenig Brauchbares erbracht. Verbindungen zur Zeugin Schmidtbauer ließen sich weder der Familie Tanner, noch Fräulein Helmchen nachweisen. Herausgestellt hat sich lediglich, dass die Reinigungskraft Frau Saalfelder zeitweise auch für die Zeugin tätig war, ebenso wie für einige andere Damen in unmittelbarer Nachbarschaft der Kanzlei. Sie hat dort vor allem die Fenster geputzt. Frau Schmidtbauer hat sie allerdings schon längere Zeit nicht mehr beschäftigt, weil sie ihr zu neugierig und zu schwatzhaft erschien.“
Ausnahmsweise konnte ich der Zeugin in diesem Punkt zustimmen. Frau Saalfelders Artikel über mich waren die reinste Rufmordkampagne gewesen, und am liebsten hätte ich sie deshalb verklagt. Dass sie allerdings die Person gewesen sein könnte,
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