Schicksalsmord (German Edition)
lange zurück, und derartige Enthüllungen entsprachen auch nicht Thomas' Stil. Was störte mich also? Zu meinem eigenen Erstaunen musste ich feststellen, wie unangenehm mir eine erneute Annäherung zwischen Ulrike und Thomas wäre. Eifersucht war dabei gewiss nicht im Spiel, denn ich hatte Thomas nie geliebt. Niemand, am wenigsten wohl er selbst, hatte verstanden, weshalb ich ihn eigentlich geheiratet hatte. Nur ich kannte den Grund: Es war die pure Verzweiflung gewesen. Er erschien mir als die einzige Rettung vor einer trostlosen Zukunft in Bödersbach.
Solange ich denken kann, habe ich mich nie wirklich mit meinem Elternhaus identifiziert. Auf eine unbestimmte Art fühlte ich mich bereits als kleines Kind nicht dazugehörig. Meine Andersartigkeit kam ja schon im Familiennamen zum Ausdruck. Während Mutter, Vater und Ulrike Lange hießen, trug ich den Namen Schwarz. Warum das so sei, fragte ich meine Eltern, und mein Stiefvater behauptete allen Ernstes, das hinge mit meinen schwarzen Haaren und Augen zusammen. Er hatte niemals versucht mich zu adoptieren, weil es ihm ganz recht war, dass mein leiblicher Vater für mich zahlte. Später habe ich ihn auch dafür verachtet.
Erwachsene sind unglaublich naiv, wenn sie annehmen, Kinder könnten ihre Anspielungen, ihre heimlichen Blicke und Gesten nicht deuten. Sehr früh begriff ich, dass mit mir etwas nicht stimmte. Immer wieder war mein Aussehen und meine Ähnlichkeit mit jemandem Gegenstand von Wortgeplänkel zwischen meinen Eltern. Immer wieder wurde der Befürchtung Ausdruck gegeben, ich könnte mal werden „wie der“. Auch dass es sich bei „dem“ um den gutaussehenden, meistens freundlich lachenden Mann handelte, dessen Weg wir oft kreuzten, begriff ich bald. Ich mochte ihn, denn wenn meine Eltern nicht hinsahen, zwinkerte er mir manchmal heimlich zu. Als ich erfuhr, dass er mein Vater war, erlebte ich das durchaus nicht als Schock, sondern als freudige Überraschung. Endlich machte alles einen Sinn, ich war also das Königskind, das man seinen wahren Eltern weggenommen hatte. Denn wie ein Prinz kam mir mein Vater vor, in seinem eleganten weißen Tennisdress und mit dem schicken Auto, das allgemein auffiel. Gern fuhr er mit offenem Verdeck durch den Ort, mit häufig wechselnden attraktiven Begleiterinnen, die ich schon damals glühend beneidete.
Bei uns zu Hause herrschte strengste Sparsamkeit, die wir bereits als Kinder deutlich zu spüren bekamen. Auch unsere Sonntagsausflüge waren davon geprägt. Sie endeten meist im Kurcafé, wo meine Mutter regelmäßig eine Tasse Tee und mein Stiefvater mehrere Schoppen Wein trank. Wir Kinder bekamen Eis, doch nie die schönen, fantasievoll dekorierten Eisbecher mit Fächern, Figuren und Glitzerfontänen. Unsere Eltern meinten, das sei nur Geldschneiderei und so mussten Ulrike und ich uns mit je zwei Kugeln Eis unserer Wahl in einem kleinen Schälchen begnügen. Manchmal steckte mitleidig ein kleiner Papierschirm darin, doch meist unterblieb auch das.
Einmal, da war ich etwa neun Jahre alt, kam mein Vater mit einer jungen Frau und einem kleinen Jungen ins Café, als auch unsere Familie dort saß. Sie schienen uns nicht zu bemerken und nahmen ganz in der Nähe Platz. Der Junge durfte wählen, er entschied sich für den riesigen, reich geschmückten Eisbecher Spezial, der bei den Gästen ein beifälliges „Ah“ und „Oh“ auslöste, als der Kellner ihn durch die Tische hindurch zum Platz meines Vaters balancierte. Angesichts des strahlenden Jungen bildete sich in meinem Hals ein dicker Kloß, der mich am Schlucken hinderte. Ich hatte das Gefühl, mir würde vor meinen Augen etwas weggenommen, worauf eigentlich nur ich Anspruch hatte. Vermutlich reifte damals mein Entschluss, den Kontakt zu meinem Vater zu suchen. Nach der Schule nahm ich nun oftmals den Weg an den Tennisplätzen vorbei und hatte bald herausgefunden, dass er immer mittwochs dort war. Ich gesellte mich zu den anderen Gaffern und tat, als sei ich an dem Spiel interessiert. Sicher hat er mich meistens bemerkt, angesprochen hat er mich jedoch erst, als ich einmal ganz allein dort stand und die Hoffnung fast aufgegeben hatte. „Du weißt wer ich bin?“, fragte er schelmisch blinzelnd und ich antwortete strahlend: „Mein richtiger Vater!“ Die Antwort gefiel ihm offenbar, zwischen uns war das Losungswort gefallen und der Bann gebrochen. Es war ein kühler, trüber Tag, und er lotste mich schnell und unauffällig in das um diese Zeit fast leere
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