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Schicksalspfad Roman

Schicksalspfad Roman

Titel: Schicksalspfad Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Bourne
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verschwunden. Dann hörte sie ihr Handy in der Tasche. Wer konnte das um diese Zeit sein? Grace suchte ihr Telefon und sah, dass es die zerstreute Kathy war. Grace seufzte. Natürlich war es Kathy. Sie rief mindestens einmal in der Woche mit einer Patientenfrage
an, die sie selbst leicht beantworten konnte, wenn sie nur wie eine normale Dienstleiterin in den Unterlagen nachsehen würde. Grace wollte eigentlich nicht mit Kathy reden, aber wenn es nun dringend war? Sie beschloss, den Anruf entgegenzunehmen.
    »Hi, Kathy«, sagte sie und ließ ihre Stimme müder klingen, als sie eigentlich war.
    »Oh, habe ich dich geweckt?«, fragte Kathy. »Das tut mir furchtbar leid!«
    »Ist schon gut. Ich bin noch wach. Was gibt es?«
    »Oh, alles Mögliche, Grace. Kannst du mir einen Riesengefallen tun?«
    Grace hasste diese Frage. Wie konnte man von einem ein Ja erwarten zu etwas, was noch unbekannt war. »Um was geht es?«
    »Eine Kleinigkeit eigentlich«, erwiderte Kathy, was bedeutete, dass es um eine größere Sache ging. »Kannst du morgen eine Stunde früher kommen? Um sieben? Ich muss etwas mit dir besprechen. Es wird aber nicht lange dauern.«
    »Um was geht es?«
    »Ich möchte lieber nicht am Telefon darüber reden. Nichts Dringendes. Kannst du um sieben da sein?«
    »Ja, klar«, antwortete Grace fröhlich, weil sie wie immer die Rolle des guten Menschen spielte. Jetzt würde sie den Wecker auf fünf statt auf sechs Uhr stellen müssen.
    »Alles okay?«, fragte der Captain.
    »Ich muss früher zur Arbeit«, sagte Grace mit dem gutmütigen Seufzer des pflichtbewussten, überarbeiteten Arbeitnehmers. Sie legte einen Zwanziger auf die Theke für
ihre Drinks und noch etwas dazu. »Danke für den Wein. Ich würde gerne noch länger bleiben.«
    Leichtes Bedauern zuckte auf dem Gesicht des Captains auf.
    »Ich komme vermutlich morgen wieder«, sagte Grace, weil sie glaubte, das sagen zu müssen. Dann nahm sie ihr Buch und glitt vom Barhocker.
    »Komm gut nach Hause«, sagte der Captain.
    »Bis bald«, rief Grace von der Tür her. Es war sonderbar, aber sie fühlte sich fast schuldig, den Captain so allein zurückzulassen.
    Draußen, auf dem Heimweg durch die Dunkelheit, roch man das brackige Wasser der Bucht. Der Mond schien hell durch die Bäume. Das einzige Geräusch war das stetige Summen und Brummen der Insekten.

10
    P ünktlich um sieben Uhr am nächsten Morgen erreichte Grace das Krankenhaus. Als sie aus dem Lift stieg, nahm Kathy sie gleich in Empfang.
    »Oh, da bist du ja. Wie gut«, sagte sie. »Danke, dass du so früh gekommen bist. Ich möchte im Büro mit dir reden. Was hältst du von diesem verrückten Wetter? Gestern war es so schön, aber heute soll es fürchterlich heiß werden.« Kathy war einundfünfzig, sah aber zehn Jahre älter aus. Sie trug eine geblümte Uniform und einen weißen Laborkittel über dem dicken, runden Körper. Eine
geschlechtsneutrale Brille hing an einer Kette um ihren Hals. Ihr sich lichtendes Haar, das dunkelrot gefärbt, aber ausgebleicht war, stand nach allen Seiten hin ab, ein Zeichen für ihr fortwährendes Bemühen, die Station unter Kontrolle zu halten.
    Grace folgte Kathy durch die Doppeltür ins erste Zimmer auf der linken Seite. In Kathys Büro stapelten sich gewöhnlich die Kaffeebecher, Pappkartons von Fertiggerichten und rutschende Papierstapel, aber heute Morgen war es so aufgeräumt und sauber, dass Grace es kaum erkannte. Sie war noch überraschter, als sie zwei weitere Personen sah: einen Mann und eine Frau, die auf den Sesseln saßen, auf denen sich gewöhnlich dicke Handbücher und Prozeduranweisungen stapelten. Der Mann trug ein offenes weißes Hemd und einen beigen Leinenblazer und sah mit seinen dunklen Locken, den hohen Wangenknochen und wilden, blutunterlaufenen Augen aus wie ein vierzigjähriger Teenager, der die ganze Nacht unter Kokain getanzt hat. Die Frau neben ihm war - zu Grace’ Beunruhigung - Judy Putnam, die Pflegeleiterin, die wie immer aussah wie ein Supermodel aus den Siebzigern: Groß, dünn, mit blonden Haaren und großen blauen Augen. Sie trug ein blasslila Schneiderkostüm wie die Top-Nachrichtenfrauen und hatte eine Tasse Kaffee in der knochigen Hand. Grace hatte Judy ein paar Mal gesehen, wenn sie mit Verwaltungsbeamten des Krankenhauses oder Supervisoren eilig die Station durchquerte, hatte aber nie damit gerechnet, ihr in Kathys Büro gegenüberzusitzen.
    »Grace, du kennst Judy Putnam«, sagte Kathy, und Judy lächelte mit ihrem

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