Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
nicht?«
»Keine Spur. Den nimmt doch niemand ernst. Ein versoffener Raufbold, der seine dreckigen Finger nicht bei sich behalten kann.«
Erik nickte.
»Ihr macht Euch doch nicht etwa Sorgen?« Auf einmal klang Mariekes Stimme ganz anders. Nicht mehr forsch und vorlaut, sondern voller Mitgefühl, sodass es ihm fast unangenehm war. »Der Seyfried redet viel blödes Zeugs. Der beleidigt jeden. Ihr habt ja gehört, wie er Fräulein Brida behandelt hat.«
»Nicht gerade die feine Art, um eine Frau zu werben«, bestätigte er.
Schritte in der Diele.
»Morgen, Herr Käpt’n. Was’n heut nur los mit’m Mannsvolk? Alle so früh auf den Beinen?«
»Ach, Marieke, nu tu man nicht so. Guten Morgen, Erik.«
»Guten Morgen.«
Der Kapitän setzte sich zu ihm an den Tisch.
»Na, Ihr seht mir ja aus, als hättet Ihr keine gute Nacht gehabt. Hat ja auch fix gestürmt, ne?«
»Das kann man wohl sagen. Wenigstens war ich auf keinem Schiff.« Er zwang sich zu einem Lächeln.
Hinrich griff nach dem Brotlaib und schnitt sich eine Scheibe ab.
»Die Brida, die hatte als Kind ihren Spaß an rauer See. Die hatte nie Angst. Nicht mal, als wir von Kaperfahrern verfolgt wurden.«
»Sie hat es mir erzählt«, sagte Erik. »Sie glaubte, ihr Vater sei unbesiegbar.«
»So sollte es doch auch sein, oder?«
Auf einmal wusste Erik, warum Brida ihrem Vater bedingungslos vertraute. Es war dieses väterliche Lächeln, das einem das Gefühl vermittelte, alles sei gut, ganz gleich, was in der Welt geschah.
Der Kapitän betrachtete die Brotscheibe, die Erik immer noch in der Hand hielt, ohne ein Stück abgebissen zu haben.
»Habt Ihr gar keinen Hunger?«
»Nein.« Erik legte die Scheibe hin.
»Wollt Ihr darüber reden?« Hinrich sah ihn mit aufrichtiger Teilnahme an. Genau wie Brida es getan hatte. Sie hatte seine Augen. Er atmete tief durch. Offen sein. Du hast’s dir vorgenommen.
»Ich kann mich immer noch nicht erinnern. Nicht an meinen Namen, nicht an meine Familie. Da ist nur dieses Bild von Vordingborg. Aber seit letzter Nacht gibt es eine weitere Erinnerung.« Er schluckte. »Ich habe einen älteren Bruder, er heißt Jannick.«
Der Kapitän horchte merklich auf. »Wisst Ihr, wo er lebt?«
Erik schüttelte den Kopf. »Ich habe von ihm geträumt. Ich war noch ein Kind, er rief nach mir. Nicht meinen Namen, sondern lillebror. Wir waren in Vordingborg, auf dem Gut unseres Großvaters. Das ist alles.«
Es war so still in der Küche, dass er das Prasseln des Herdfeuers hörte.
»Ich weiß, dass Ihr es dem Stadtrat melden müsst«, murmelte Erik.
»Was sollte ich melden?« Hinrich schaute ihn mit gespielter Überraschung an. »Ihr könnt Euch nicht daran erinnern, wer Ihr seid und woher Ihr kommt. Schluss und aus. Glaubt Ihr wirklich, der Claas kümmert sich um irgendwelche Traumgespinste von unbedeutenden Schiffbrüchigen? Ich werd mich hüten, ihn mit solchen Geschichten zu belästigen.«
»Danke.«
»Da nich für. Und nun solltet Ihr was essen. Ihr müsst wieder zu Kräften kommen.«
Die Art, wie Hinrich mit ihm sprach, löste den Knoten in seinem Magen. Trotzdem war er froh, dass der Kapitän sich tatkräftig daran beteiligte, die Mengen zu vernichten, die Marieke ihnen aufgetischt hatte. Erst als sie längst fertig waren, erschien Brida in der Küche.
»Nicht wundern, Fräulein Brida. Das Mannsvolk hat’s heut nicht im Bett gehalten«, begrüßte Marieke ihre Herrin.
»Ich seh’s schon. Erik, Ihr solltet noch nicht so viel herumlaufen.«
»Im Moment sitzt er ja«, sagte ihr Vater. »Und das solltest du man auch tun. Nu komm, setz dich zu uns!«
Brida wirkte irgendwie befangener als tags zuvor.
»Deern, nu guck nicht so trübsinnig! Der Erik und ich haben schon geklärt, dass wir überhaupt nichts über seine Herkunft wissen und dass der Stadtrat sich bestimmt nicht um so ’n unwichtigen Schiffbrüchigen schert.«
Erik sah, wie die Unsicherheit aus ihrem Gesicht verschwand. Ihre Blicke trafen sich. Vielleicht ein wenig zu lange, denn als sie die Lider senkte, glaubte er, einen zarten rosigen Hauch auf ihren Wangen zu erkennen, der zuvor nicht zu sehen gewesen war.
Der Sturm, der ihn am Morgen geweckt hatte, hielt während des ganzen Tages an. Es herrschte ein Wetter, bei dem niemand gern das Haus verließ, und der begehrteste Platz war vor dem Kamin in der guten Stube. Vielleicht fühlte er sich gerade wegen des Unwetters, das draußen tobte, so geborgen. Aber vor allem, weil er wusste, dass er seiner
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