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Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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Menschenkenntnis noch immer trauen konnte. Im Haus von Hinrich Dührsen war er vorerst sicher.
    Und doch konnte er sich der schleichenden Angst, die ihn stets von Neuem packen wollte, nicht gänzlich erwehren. Etwas Grauenvolles würde geschehen, wenn man herausfände, wer er war. Nur, was sollte das sein? Gewiss, es war kein angenehmer Gedanke, monatelang in lübscher Gefangenschaft zu sitzen, falls man ihn als Geisel nahm. Aber im Allgemeinen wurden Geiseln ihrem Rang entsprechend anständig behandelt. Misshandlung oder gar Folter hatte er in keinem Fall zu fürchten.
    Wasser läuft am rauen Mauerstein hinab, an den Wänden hängen Ketten. Es riecht nach Moder, Fäulnis und Angst. Irgendwo schreit jemand. Ein Schrei, der ihn nie mehr loslassen wird …
    Verdammt, warum schob sich ausgerechnet dieses Bild immer wieder in sein Bewusstsein?
    Und noch etwas war seltsam. Obwohl er wusste, dass sein Großvater einen Hof in Vordingborg besaß, hatte er bislang nicht erwogen, sich auf eigene Faust dorthin durchzuschlagen. Gewiss, es wäre ohnehin ein schwieriges Unterfangen gewesen, ein Schiff zu finden, das die dänischen Inseln anlief, aber das war nicht der Grund. Die Erinnerung an seinen Bruder hatte ihn mit Freude erfüllt, mit Zuneigung und Vertrauen. Vordingborg hatte nichts dergleichen in ihm ausgelöst. Kein Heimatgefühl, keine brennende Sehnsucht. Im Gegenteil, irgendwo, in einer ganz versteckten Ecke seines Bewusstseins, saß die Furcht vor diesem Ort.
    Am Nachmittag ließ der Sturm ein wenig nach, und auch der Regen hörte auf. Vor dem Kamin gab Kapitän Hinrich alte Seemannsgeschichten zum Besten, die sogar Marieke aus der Küche in die Stube gelockt hatten, auch wenn sie vorgab, die Anwesenden nur mit Kuchen und heißem Holunderbeersaft zu versorgen. Erik ertappte sich dabei, Brida immer wieder anzusehen. Und seltsamerweise schaute sie jedes Mal gerade zu ihm herüber, sodass sich ihre Blicke trafen.
    Ein Klopfen an der Tür ließ Hinrich in seiner Erzählung innehalten.
    »Marieke, sieh doch nach, wen’s bei diesem Wetter rausgetrieben hat.«
    »Aber wenn’s der Seyfried ist, kriegt er gleich den Besen über«, antwortete die Magd.
    Es war nicht der Seyfried. Es war ein Mann von etwa vierzig Jahren, bei dessen Eintreten sich Hinrich und Brida erhoben. Erik tat es ihnen nach.
    »Na, da schau her, der Herr Pfarrer!«
    »Grüß dich, Hinrich.«
    Erik wunderte sich, dass der Kapitän und der Pfarrer sich wie alte Freunde die Hände schüttelten. Auch war der Pfarrer nicht als Geistlicher zu erkennen. Wäre er ihm auf der Straße begegnet, hätte er ihn für einen Bauern oder Fischer gehalten.
    Wieder ein Bild. Er steht in einem riesigen Gotteshaus, durch die kostbaren bemalten Fenster fällt helles Sonnenlicht. Weihrauchduft erfüllt die Luft und Ehrfurcht seine Brust.
    »Was führt dich her?«, fragte Hinrich weiter. Erik staunte immer mehr über den Umgangston. Nie wäre es ihm eingefallen, mit einem Geistlichen wie mit seinesgleichen zu sprechen.
    Brida bemerkte seine Verwirrung.
    »Der Herr Pfarrer ist Vaters Vetter«, raunte sie ihm zu.
    Das erklärte zumindest den vertraulichen Umgangston.
    »Um es kurz zu machen, Hinrich, dein Gast ist der Grund.« Der Pfarrer nickte in Eriks Richtung. »Die Toten der vorletzten Nacht müssen bestattet werden. Ich wär schon gestern gekommen, aber Claas sagte, dein Gast braucht noch Ruhe.«
    Erik schluckte. Natürlich, man hielt ihn für den Schiffseigner. Es war seine Pflicht, sich um alles zu kümmern.
    »Wie kann ich Euch behilflich sein, Hochwürden?«, fragte er.
    »Ihr wisst sicher, ob die Toten Familie haben. Und dann ist da noch die Frage der Kosten …«
    Erik nickte. Also genau die Fragen, die er gefürchtet hatte.
    »Da gibt’s man nur eine Schwierigkeit«, sprang der Kapitän ihm bei. »Der Erik hat beim Schiffsunglück sein Gedächtnis verloren. Er kann sich an nichts erinnern. Wir wissen nicht mal, ob er wirklich Erik heißt.«
    Der Pfarrer zog erstaunt die Brauen hoch. »Ihr habt Euer Gedächtnis verloren?«
    Verdammt, warum hörte sich die Frage nur so an, als halte der Geistliche ihn für einen Lügner?
    »Leider ist es so«, antwortete er. »Ich hoffe jedoch, mich bald wieder zu erinnern. Und ich bin sicher, dass meine Familie für alle Kosten aufkommen wird.«
    Der Pfarrer musterte ihn von oben bis unten. Erik hatte das Gefühl, als würde er wie ein Stück Vieh auf dem Markt abgeschätzt.
    »Vermutlich«, erklärte der Pfarrer, als er seine

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