Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
Vom Netzwerk:
Begutachtung beendet hatte. »Vielleicht hilft es Euch, die Toten zu sehen. Möglicherweise erinnert Ihr Euch dann an ihre Namen.«
    »Möglicherweise«, bestätigte Erik.
    »Wollt Ihr sofort mitkommen? Der Regen hat inzwischen aufgehört.«
    »Er ist noch geschwächt«, warf Brida ein.
    »Nun, den kurzen Weg bis zum Kirchhof wird er schon schaffen.« Die Kälte in der Stimme des Pfarrers war unüberhörbar.
    »Gewiss werde ich das«, bestätigte Erik ebenso kalt.
    »Ich begleite Euch«, sagte Brida.
    Es war das erste Mal, dass er das Haus verließ und einen gründlicheren Blick auf die Umgebung warf. Hinrichs Haus stand nahe am Hafen. Solider roter Backstein, so wie die Häuser in Lübeck, an die Erik sich dunkel erinnerte. Weiter vorn am Wasser erhoben sich nur die Speicher, einfache Fachwerkbauten mit ihren Lasthaken am Giebel. Ein einzelner Kraier ankerte im Hafen, ganz so, als hätte er vor dem Sturm Schutz gesucht.
    Der Wind heulte noch um die Häuser, aber ihm fehlte die schneidende Kälte, die Erik befürchtet hatte. Über dem Meer rissen die Wolken langsam auf und gaben ein Stück blauen Himmel frei.
    »Da vorn ist schon die Kirche zu sehen«, sagte Brida und wies auf den Hügel, auf dem das Gotteshaus thronte.
    Der Pfarrer hatte während der ganzen Zeit kein Wort gesprochen. Erst jetzt wurde Erik bewusst, dass er nicht einmal dessen Namen kannte. Er war also der Vetter des Kapitäns. Hätte Brida es ihm nicht gesagt, er hätte keinerlei Ähnlichkeit zwischen beiden Männern entdeckt. Nicht im Äußeren und noch viel weniger im Wesen.
    Die gemauerte Kirche wirkte wie eine Burg, trutzig, wehrhaft und ein bisschen kalt. Fast so wie ihr Pfarrer. Vom Turm aus musste man einen herrlichen Blick über die Ostsee bis nach Fehmarn haben. Hinter der Kirche stand ein windschiefer kleiner Schuppen, so unauffällig, dass Erik ihn erst auf den zweiten Blick bemerkte. Wind und Wetter hatten das Holz schwarz gefärbt. Zielstrebig hielt der Pfarrer darauf zu. Die Tür knarrte misstönend, als er sie aufsperrte. Es roch nach Feuchtigkeit und Moder, nach Salzwasser und etwas anderem, das er nicht sofort zu benennen wusste.
    Erst als sein Blick auf die acht toten Körper fiel, die am Boden lagen und mit hellen Leinentüchern bedeckt waren, erinnerte er sich an den süßlichen Geruch des Todes.
    Helles Licht fällt durch bunte Fenster, zeichnet Bilder auf den steinernen Boden. Der Dom ist voller Menschen. Alle sind gekommen, dem Verblichenen die letzte Ehre zu erweisen. Ehrfurcht und Trauer erfüllen sein Herz.
    »Wollt Ihr sie Euch nicht ansehen?« Die Stimme des Pfarrers riss ihn zurück in die Gegenwart. Was erwartete der Geistliche? Dass er sich niederbeugte und die Leichentücher von den Gesichtern der Toten zog? Vermutlich genau das, wenn er den Blick richtig deutete. Er atmete tief durch, dann machte er sich an die peinvolle Arbeit.
    Keiner der Männer weckte irgendwelche Erinnerungen in ihm. Ob es daran lag, dass der Tod ihnen allen eine bleiche Maske mit einem bläulichen Schimmer verliehen hatte? Ihre Körper waren mittlerweile bretthart. Er deckte den letzten Leichnam wieder zu und richtete sich auf.
    »Und?« Die Stimme des Pfarrers klang ungeduldig.
    Erik schüttelte wortlos den Kopf.
    »Ihr könnt Euch also nach wie vor an nichts erinnern?«
    »So, wie Ihr mich fragt, scheint Ihr zu glauben, ich würde mich verstellen.«
    »Das habt Ihr gesagt.«
    »Warum misstraut Ihr mir?«
    »Warum sollte ich Euch vertrauen?«, antwortete der Geistliche mit einer Gegenfrage. »Arne hat erzählt, dass Ihr eine Schwertwunde davongetragen habt. So etwas geschieht nicht so ohne Weiteres bei einem Schiffsunglück. Und an Kaperfahrer glaube ich nicht. Diese Toten waren alle unversehrt. Hätte es einen Kampf gegeben, hättet nicht nur Ihr eine Verletzung davongetragen. Welch günstiger Zufall, dass Ihr Euer Gedächtnis verloren habt, denn so müsst Ihr keine unangenehmen Fragen beantworten.«
    Erik atmete tief durch. »Ist Euch eigentlich noch nie der Gedanke gekommen, dass es einfacher wäre, ein Lügenmärchen über meine Herkunft zu erfinden, wenn ich etwas zu verbergen hätte?« Seine Rechte ballte sich zur Faust.
    »Ich glaube Erik«, sagte Brida und berührte ihn wie absichtslos am Arm. Seine Faust löste sich.
    »Lass dich nicht durch sein gefälliges Gesicht oder seine guten Manieren täuschen, Brida«, entgegnete der Pfarrer. »Das Böse verbirgt sich oft dort, wo man es am wenigsten vermutet.«
    »Manchmal sogar in einer

Weitere Kostenlose Bücher