Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
»Ihr unterschätzt die Stimme des Hauptmanns. Ich habe die Tür zu meiner Kammer einen Spaltbreit offen gelassen. Das hat genügt, um seine Worte gut zu verstehen.«
»Und was sagt Ihr dazu?«
»Dass ich die Dänen, von denen er sprach, nicht kenne. Und nun kommt, wir müssen uns um Euren Vater kümmern.«
Es war seltsam, Erik so befehlsgewohnt zu erleben. Und noch seltsamer, dass Kalle sich seinen Anweisungen wie selbstverständlich unterordnete. Da gab es kein Geplänkel mehr, wie Brida es anfangs zwischen den beiden Männern erlebt hatte. Erik war der unbestrittene Anführer, und das nicht nur deshalb, weil er wusste, wo Hinrich sich aufhielt.
Sie hatten Kalles Boot geholt, und Erik wies ihnen den Weg zu Hinrichs Versteck, auch wenn er sich, während Kalle ruderte, unter einer Decke auf dem Bootsboden verbarg. Kalle mied den Hafen und fuhr einen Umweg durch die kleine Bucht hindurch, die den Binnensee mit dem Meer verband, und lenkte das Boot erst wieder an die Küste, als der Hafen hinter ihnen lag. Niemand bemerkte sie, aber der Wind trug das Stimmengewirr vom Hafen bis zu ihnen herüber. Seyfrieds ungeheuerliche Geschichte hatte sich rasch herumgesprochen und die Menschen zum Hafen getrieben.
Erik hatte sich mittlerweile aufrecht hingesetzt und beobachtete genau die Küste.
»Hier ist es«, sagte er.
Kalle hielt das Boot an, Erik sprang sogleich ins Wasser und erklomm das Gestade. Brida wollte ihm folgen, doch er hielt sie zurück.
»Wartet hier, wir holen ihn ins Boot, damit wir keine Zeit verlieren«, raunte er. »Kommt Ihr, Kalle?«
Der Schmuggler nickte, band das Boot an einem überhängenden Strauchwerk fest und folgte Erik.
Brida griff nach dem Korb mit dem Verbandszeug und sah den beiden Männern nach. Eine schiere Ewigkeit verging, aber niemand kam. Oder waren es nur wenige Augenblicke? In ihrer Sorge um den Vater verlor Brida jedes Zeitgefühl. Am liebsten wäre sie selbst ins Wasser gesprungen, um ihn ins Boot zu holen. Endlich hörte sie Schritte. Kalle und Erik stützten den Verletzten. Vorsichtig hoben sie ihn ins Boot und legten ihn behutsam auf die Decke, unter der Erik sich zuvor versteckt hatte.
»Deern«, hauchte Hinrich, als er sie sah. Und trotz seiner Schmerzen gelang ihm dieses väterliche Lächeln, das sein Gesicht in Hunderte von Fältchen teilte und das sie so sehr liebte.
Er presste noch immer Eriks zusammengeknülltes Hemd auf die Wunde. Behutsam zog Brida seine Finger auseinander, um einen Blick darauf zu werfen.
Der Stich reichte tief in das Gewebe hinein, aber lebenswichtige Organe waren offenbar nicht getroffen worden. Auch die Blutung hatte mittlerweile aufgehört.
»Das Messer ist an der Rippe abgeprallt«, erklärte sie, während sie sich daran machte, die Wunde zu versorgen.
»Er hätt wohl noch mal zugestochen«, sagte ihr Vater schwach. »Aber ich konnte ihn wegstoßen und ins Wasser springen.«
»Warum hat er das nur getan?«
»Ich hab gehört, wie er Claas erpresste.«
»Wir müssen los«, drängte Erik, setzte sich neben Kalle auf die Ruderbank und griff nach einem der beiden Riemen. »Marieke erwartet uns bestimmt schon.«
Brida nickte nur. Sie konnte sich auch um ihren Vater kümmern, während die beiden Männer ruderten.
»Womit hat Seyfried Claas erpresst?«, fragte Brida. Sie hatte die Wunde soeben verbunden und ihren Vater in eine warme Decke gehüllt.
»Ich weiß nicht so genau«, antwortete Hinrich schwach. »Ging um Geld. Seyfried hat’s Blutgeld genannt.« Er schloss die Augen, und obwohl die Fragen in Brida brannten, wusste sie, dass ihr Vater jetzt erst einmal Ruhe brauchte. Er schwebte nicht in Lebensgefahr, wie sie befürchtet hatte – sofern sich kein Wundfieber einstellte. Den Blutverlust würde er schon überstehen, er war zäh. Aber vor allem brauchte er Schlaf.
»Schau an, der Seyfried hat also Claas erpresst«, sagte Kalle, während er gemeinsam mit Erik die Ruder gleichmäßig durchs Wasser zog. »Ob er wohl daher das ganze Geld hatte?«
»Aber womit soll er ihn erpresst haben?«, fragte Brida. »Was meinte er mit Blutgeld?«
Kalle hob die Schultern. Erik schwieg, aber sie sah ihm deutlich an, dass er über irgendetwas nachdachte.
»Was geht Euch durch den Kopf, Erik?«
Er sah sie an, ohne im Rudertakt nachzulassen.
»Ich dachte daran, was Willem gesagt hat. Einer seiner Männer beobachtete vor einigen Tagen ein Gespräch zwischen einem Vermummten und mehreren Dänen. Geld floss. Wer könnte das wohl gewesen
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