Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
hätte gedacht, dass ein Junggeselle wie du so vornehm lebt?«, gab sie zurück.
»Tja, nur weil ich ’m Handwerk nachgeh, das nicht so angesehen ist, muss ich ja nicht wie ’n Strandräuber hausen, ne?« Er lachte.
»Ich glaub, der Käpt’n sollt diese Koje nehmen, die ist am bequemsten.« Kalle zog einen Vorhang zurück, hinter dem sich ein breites Bett verbarg.
Erik half Hinrich, sich dort niederzulassen. Brida war sofort an seiner Seite.
»Wie geht’s dir, Vater?«
»Bestens, Deern.« Er tätschelte ihr die Hand und lächelte sie an. »So schnell bin ich nicht totzukriegen.«
Aus den Augenwinkeln sah Brida, dass Marieke auch die übrigen Schlafkojen für die kommende Nacht vorbereitete. Kalle war auf den Dachboden geklettert und holte weitere Decken. Erik lehnte an der Wand neben Hinrichs Koje und trug wieder diesen nach innen gekehrten Blick.
»Habt Ihr Euch wieder an etwas erinnert?«, fragte sie ihn.
»Nur eine Kleinigkeit«, antwortete er. »Das Schiff, auf dem ich war, der Kraier …«
»Ja?«, fragte Brida.
Auf einmal waren alle Blicke auf Erik gerichtet. Marieke hielt in ihrer Arbeit inne, und Kalle kam die Leiter heruntergeklettert. Selbst Hinrich versuchte, sich aufzurichten.
»Es war tatsächlich mein Schiff. Es hieß Smukke Grit .«
»Schöne Grit«, übersetzte Kalle. »Also seid Ihr Däne. Welcher Deutsche würd sein Schiff schon so nennen?«
»Das muss nicht sein«, widersprach Hinrich. »Erik, hattet Ihr uns nicht erzählt, dass Eure Mutter Grit heißt?«
»Ja. Und ich bin mir sicher, dass sie Dänin ist«, bestätigte er.
Hinrich nickte. »Dann könnt die Smukke Grit die Mitgift Eurer Mutter gewesen sein. Aber das sagt noch lange nicht, ob Euer Vater auch Däne ist. Allerdings könnte der Schiffsname ein Anhaltspunkt sein. Ein Schiff, das lange Jahre auf See war, ist in vielen Häfen bekannt, und seinen Eigner herauszufinden dürfte nicht sonderlich schwer sein.« Der Kapitän atmete tief ein, dann lehnte er sich auf dem Bett zurück.
»Ist alles in Ordnung, Vater?« Brida betrachtete ihn besorgt.
»Ja, Deern. Ich bin nur ’n bisschen müde.«
Brida half ihm, sich auszuziehen und zuzudecken, dann zog sie den Vorhang zu, damit ihr Vater Ruhe fand.
Als sie sich nach Erik umwandte, sah sie gerade noch, wie er in Richtung des Strands davonging. So, als erhoffe er sich, im Licht der untergehenden Sonne Antworten auf all die Fragen zu finden, die der Tag aufgeworfen hatte …
12. Kapitel
D er Wind blies ihm den Geruch von Seetang entgegen. Frischer Tang, der etwas vom Atem der Freiheit in sich trug, nicht der verfaulte Schlick, der oft schlimmer stank als eine Jauchegrube. Die Sonne verfärbte sich langsam rot und tauchte die Ostsee in ein goldenes Licht. Auf einmal wusste Erik, dass er diesen Anblick schon Hunderte von Malen genossen hatte. Als Kind am Strand, als junger Mann an Bord von Schiffen. An Bord seines eigenen Schiffs. Die Smukke Grit .
Seit er sich an ihren Namen erinnerte, sah er immer öfter weitere Bilder. Die Smukke Grit war kein neues Schiff, ihre Planken hatten mehr Jahre kommen und gehen sehen als er selbst. Aber schnell war sie gewesen, die alte Dame, an deren knarrendes Holz er sich plötzlich wieder erinnerte, als wäre es ihre Stimme. Keine Kogge konnte mit der Geschwindigkeit seines Kraiers mithalten. Nicht einmal die stolze Elisabeth , das Flaggschiff seines Bruders.
Die Kogge meines Bruders! Das Wappen auf dem Segel, der aufsteigende Adler über dem goldenen Sparren! Es ist das Wappen meiner Familie!
Familie … Name … Wieder nur weißer Nebel. Und doch erfüllte ihn auf einmal eine ungeahnte Zuversicht. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er die entscheidenden Stücke des Mosaiks zusammensetzen würde. Er stand dicht davor.
Hinter ihm knirschten Schritte im Sand. Er wandte sich um. Es war Brida. Die Anspannung der letzten Stunden war aus ihrem Gesicht verschwunden. Vermutlich weil sie wusste, dass die Verletzung ihres Vaters nicht so schwerwiegend war, wie er zunächst befürchtet hatte.
»Ich wollte sehen, wo Ihr so lange bleibt. Einige von Kalles Freunden sind gekommen. Es gibt Gänsebraten.«
»Ein erstaunlich festliches Gericht für einen gewöhnlichen Tag.«
»Wildgänse.« Brida lächelte. »Hier wird nicht nur geschmuggelt, sondern auch gewildert.«
Als er schwieg, fuhr sie fort. »Ihr seid so ernst. Was geht Euch durch den Kopf?«
»Bruchstücke von Erinnerungen. Es werden immer mehr, aber die, die ich mir am sehnlichsten
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