Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
Wort fühlte sich fremd an. Keine vertraute Wärme, nicht der Drang zu antworten, wenn er so gerufen wurde. Nichts. Andererseits - er hatte anfangs nicht einmal bemerkt, dass er verwundet war, bis Brida es ihm gesagt hatte. Und jetzt konnte er den pochenden Schmerz in der Brust kaum mehr verdrängen. Das Gespür für seinen Körper war zurückgekehrt. Vielleicht brauchte seine Erinnerung nur ein bisschen länger?
Immer wieder fischte er in seinem Gedächtnis nach bekannten Bildfetzen, aber er vermochte nichts wirklich zu fassen.
Ob sein Körper ihm wohl schon wieder ganz gehorchte? Er schob die Beine aus dem Bett. Die hölzernen Dielenbretter fühlten sich unter seinen nackten Füßen wärmer an als erwartet. Das Kohlebecken erfüllte seinen Zweck vortrefflich, obwohl es nicht besonders groß war. Ganz anders als … ja, als was? Das Bild eines silberfarbenen Beckens flackerte auf, ein massiger Löwenkopf war in das Metall getrieben, die Füße glichen Löwenpranken. Er versuchte, die Vorstellung festzuhalten, zu betrachten, doch schon verschwand sie wieder.
Immerhin fühlten seine Beine sich nicht mehr an, als wären sie abgestorben, und das unangenehme Kribbeln hatte auch nachgelassen. Doch kaum versuchte er, sich aufzustellen, schoss ihm der Schmerz durch die Unterschenkel. Kraftlos ließ er sich zurücksinken, atmete tief durch, wollte sich auf etwas anderes als das Brennen in den Beinen und das Pochen in der Brust besinnen.
Brida … Sie war keine dieser scheuen Jungfern, die mit schüchternem Augenaufschlag aus ihrem lieblichen Puppengesicht schauten. Keine wie … verdammt, eben war da doch noch ein Gesicht gewesen, ein Name. Aber schon war beides wieder entschwunden.
Er blickte sich weiter um. Eine kleine Kammer, das hatte er schon bemerkt, sauber und gepflegt. Auf einem winzigen Tisch stand eine Waschschüssel aus Steingut, daneben ein Schemel.
Die Wände der Stube waren mit Holz vertäfelt. Schlicht und zweckmäßig. Nicht so aufwendig wie … Wieder riss der Gedanke ab, kurz bevor er ihn fassen konnte.
Warum unterschied er, ob etwas kostbar oder gewöhnlich war, während er nicht einmal mehr seinen Namen wusste? Nun gut, er war kein neugeborenes Kind, er hatte in der Welt gelebt, er hatte Erfahrungen gesammelt. Anscheinend konnte er darauf zurückgreifen, um sich zurechtzufinden. Nur seine persönliche Vergangenheit hatte das Schicksal ihm geraubt. Warum?
Er legte sich wieder hin, schloss die Augen und versuchte einzuschlafen. Er zitterte noch immer, aber nicht vor Kälte. Zwar hatte er es sich nicht eingestehen wollen, aber er hatte Angst. Das Gefühl der Hilflosigkeit wurde unerträglich. Sein Körper war zu schwach, sich zu erheben, und sein Gedächtnis hatte ihn verlassen. Wie sollte er sich wehren? Wie erkennen, wer Freund oder wer Feind war?
Er dachte an Brida. Ihre hochgewachsene, schlanke Gestalt, die so viel Selbstsicherheit ausstrahlte. Ihre dunkelblauen Augen, die ihn trotz eines kecken Blitzens voller Mitgefühl betrachtet hatten. Ihre Fürsorge war echt. Seine Sorgen schienen unnötig. Trotzdem blieb die Angst. Gerade weil er nicht wusste, wovor er sich zu fürchten hatte.
»Guten Morgen, junger Herr.«
Mariekes Stimme riss ihn aus dem Schlaf, und er fuhr auf. Sofort meldete sich der Schmerz in der Brust. Er zuckte zusammen.
»Immer mit der Ruhe.« Die Magd lächelte ihn freundlich an, in ihren Händen ein Tablett mit Brot, Käse und einem Krug Milch. »Das Frühstück läuft nicht weg.«
Sie zog den Schemel neben sein Bett und stellte das Tablett darauf ab. Dann warf sie einen Blick in das Kohlebecken. »Soll ich noch einmal anheizen?«
Er nickte.
»Ich bin gleich wieder da.« Mit geübtem Griff hob Marieke das Becken vom Ständer und trug es hinaus. Er stellte sich vor, wie sie die Asche ausleerte und neue Kohlen auflegte. Wie sie die Glut entfachte und in die Kohlen blies.
Ein neues Bild. Wieder Kohlen, doch nicht in einem Becken. Ein Blasebalg. Funken stieben aus dem Kohlebett, der Schmied fasst das lang gezogene, glühende Eisen mit einer Zange, legt es auf den Amboss. Schläge zwingen es in eine neue Form. Eine Klinge wird geboren …
Unwillkürlich griff er nach seiner Wunde. Ein Schwerthieb, hatte Brida gesagt.
»Geht es Euch nicht gut?« Marieke war zurückgekehrt und stellte das Becken zurück auf das Gestell. »Habt Ihr Schmerzen?«
Er ließ die Hand sinken. »Nicht der Rede wert, ich danke Euch.«
»Man kann’s mit der Höflichkeit auch übertreiben.
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