Schief gewickelt (German Edition)
gefühlt? Ich nehme mein Handy und wähle Simones Nummer aus dem Telefonbuch. Sie muss heute arbeiten. Irgendwelche schwerwiegenden Ereignisse. Ich habs nicht ganz kapiert, was sie mir da gestern Nacht ins Ohr genuschelt hat, als sie um zwei endlich nach Hause kam. Und als ich heute aufwachte, war sie auch schon weg. Soll ich wirklich? Betrunkener arbeitsloser Ehemann stört Frau in der Arbeit. Gibt es etwas Jämmerlicheres?
Ich drücke den grünen Knopf, auch wenn ich sicher bin, dass ich es lieber nicht tun sollte.
»Markus, bist du es?«
»Ja, tschuldigung, ich stör sicher gerade.«
»Ja, nein, egal. Ist was passiert?«
»Ja, nein, ach, ich weiß auch nicht.«
»Markus, falls es dich interessiert, unser Vorstandsvorsitzender ist gestern rausgekantet worden, übermorgen ist Aktionärsversammlung, und wir haben eben Wind davon bekommen, dass die Briten eine feindliche Übernahme planen. Also, was ist los?«
»Ach nein. Ist schon alles in Ordnung. Ich wollte nur mal deine Stimme hören.«
»Sag mal, bist du betrunken?«
»Wer jetzt, ich?«
»Entschuldige, bin nur gerade höllisch unter Druck. Pass auf, kann ich dich nachher anrufen?«
»Äh ja, klar.«
»Gut, bis später dann. Und gib Daniel einen dicken Schmatz von mir.«
Kein Schmatz für mich. Aber ist schon richtig. Versager. Krieg nichts auf die Reihe und nehm nicht mal Wechselklamotten mit, während mein Kleiner noch in der Klo-Probezeit ist. Hätte Simone lieber jemand anderen nehmen sollen. Becker zum Beispiel. Hat die blaue Windel erfunden. Oder Baumer. Legt einfach so mit einem Bobby-Car einen Kleinwagen aufs Kreuz. Was für Männer!
Da kommt Bandmutter-Karsten die Kastanienallee rauf. Oder besser gesagt, der Mann, der früher mal Bandmutter-Karsten war. Jetzt ist er Laptop-und-Freundin-an-der-Hand-Karsten.
»Hallo, Karsten.«
»Hallo, Markus, hallo, Daniel. Das ist Anne, und das hier musst du dir unbedingt mal anhören.«
Noch während er redet, hat er den Laptop gezückt und hochgefahren. Ich finde es ja schon grenzwertig, Laptops in Cafés aufzuklappen. Aber hier, mitten auf der Kastanienallee? Muss das sein?
Karsten hat auch noch einen überdimensionalen Kopfhörer aus seiner Tasche gefingert und mir über die Ohren gestülpt. Eine Sekunde später bin ich nicht mehr in der Kastanienallee, sondern im Weltraum, und irgendwelche Weltraumvögel zwitschern mir in die Ohren. Danach bin ich in irgendeinem Proberaumkeller, und der härteste Gitarrist der Welt bringt seinen Amp zum Explodieren, und danach wiederum fährt mir ein schneller R&B -Beat in die Knochen, und ein übermenschlicher Bläsersatz fegt sämtliche Dächer in der Umgebung weg.
»Na, was sagst du?«
»Bin platt.«
»Muss weiter. Annes Mutter hat Geburtstag. Brauchen noch Blumen. Aber lass uns mal wiedersehen, okay?«
Wow. Karsten und Blumen. Den hat Anne ja in kürzester Zeit völlig umgekrempelt.
Ich beschließe spontan, zu Saturn zu fahren und Laptops anzugucken. Ich brauche ja jetzt einen neuen. Überhaupt, irgendwie wieder Musik machen. So ohne Ehrgeiz. Nur mal wieder auf der Bühne stehen. Ja, der Gedanke zieht mich ein bisschen hoch.
Wir schnappen uns die U8 und fahren zum Alex. Ich muss vorsichtig sein. Keine Aufregungen mehr. Nur kurz ein paar Laptops ansehen und Daniel im Blick behalten. Dann ab nach Hause. Und das moderne Ballett wird heute unauffindbar sein.
Selbst in den U-Bahn-Schächten ist es heiß. So heiß, dass man nicht wahrhaben will, dass es draußen noch heißer sein könnte. Es ist aber noch heißer.
»Papa, da! Der Grillwohker.«
Verflixt, was ist mit meinen Reflexen? Nichts funktioniert mehr. Der Riesling hat mich verlangsamt. Daniel ist aus dem Kinderwagen gesprungen und schießt zwischen den Beinen der Menschenmassen davon, ohne dass ich ihn zu fassen kriege. »Na gut«, denke ich mir. »Gibt es halt wieder eine Thüringer. Hab schon Schlimmeres überlebt.« Ich fixiere den Grillwalkersonnenschirm, der wie ein römisches Feldzeichen hoch über der Menschenmenge aufragt, und halte darauf zu. Dann sehe ich, wie der Schirm schwankt und langsam umfällt. Schon früher bei den Römern hat das in der Schlacht nichts Gutes bedeutet, wenn ein Feldzeichen umfiel. Und wenn ein Grillwalkerschirm umfällt, dann ist auch klar, dass da gerade ein ganzer Grillwalker zu Boden gegangen ist. Samt Grill. Muss wohl über irgendwas gestolpert sein.
» DANIEL !«
Das war noch lauter als neulich im Supermarkt. Aber niemand beachtet mich. Alle sind mit dem
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