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Schief gewickelt (German Edition)

Schief gewickelt (German Edition)

Titel: Schief gewickelt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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eigentlich noch viel zu gut für mich.
    Ich muss irgendwie die deprimierenden Gedanken verdrängen. Vielleicht an Sex denken? O ja, wir hatten guten Sex in diesem Dortmunder Hotel. Endlich mal wieder – und dann ausgerechnet da. Doch ich schaffe es weder, mir diese noch irgendeine andere der unzähligen glorreichen Szenen Simones und meines Sexlebens ins Gedächtnis zurückzurufen, ohne dass sich Daniel ins Bild schleicht und an ihren Brüsten nuckelt. Ob sich das jemals wieder legt? Wer weiß, vielleicht hätte mein Feelgoood-Gefühlskonfigurator in einer weiterentwickelten Version auch bei solchen Problemen geholfen.
    Und damit wäre ich wieder beim Thema. Mist.
    Und keine andere Ablenkung weit und breit. Nur die öde Bernauer Straße mit ihrem verwahrlosten ehemaligen Todesstreifen.
    Was solls. Ich kann ja Daniel einen kleinen Geschichtsvortrag halten. Warum nicht? Wenn wir schon mal da sind.
    »Guck mal, Daniel, siehst du da die Linie mit den dunklen Steinen im Boden? Da war früher die Berliner Mauer. Da konnten die Leute nicht drüber.«
    »Und ist die Mauer jetzt nicht mehr da?«
    »Nein, die haben die abgerissen. Jetzt kann man wieder durch. Das ist doch fein, oder?«
    »Aber haben die die Mauer kaputtgemacht?«
    Verflixt. Nur zwei Sätze gesagt und schon in der Falle. Ob ich da noch rauskomme?
    »Nein, nein, die haben nicht die ganze Mauer kaputtgemacht. Da hinten haben sie noch ein kleines Stück stehenlassen.«
    »Aber haben die die Mauer in lauter kleine Stücke geschnitten?«
    »Na ja, in gewissem Sinne …«
    »Aber die können die jetzt nicht mehr wieder aufbaun?«
    »Doch, klar, wenn du das unbedingt willst, können die die Mauer wieder aufbaun. Kein Problem. Können die gleich morgen mit anfangen …«
    »Aber ich glaube … die können die Mauer nicht mehr aufbaun. Die haben die in lauter … kleine Stücke … geschnitten … Buhuu!«
    Was habe ich vorhin über Daniels hysterische Anfälle gesagt? Warum halte ich nicht meine Klappe? Superdoppelriesenvollidiot.
    »Schschsch, Daniel, beruhig dich. Wir gehen jetzt zu Andi. Der ist lustig. Wirste sehen.«
    Ich schiebe den Kinderwagen so schnell ich kann die Bernauer Straße runter. Hier haben sich früher alte Damen aus den Fenstern gestürzt, um in den Westen zu kommen, hier hat die DDR -Führung einen ganzen Häuserzug abgerissen, um den Todesstreifen durchzuziehen, unter unseren Füßen haben todesmutige Verzweifelte wochenlang Fluchttunnel geschippt, um ihre Familien zu sich zu holen …
    »Ich will … die Mauer … wiederham!!! Ich will die – Mauer … wiederham!!! Ich … will … die Mauer wiederham!!! Ich will … die Mauer … wiederham!!!«
    »Ruhig, Daniel, ganz ruhig.«
    » ICH WILL DIE  … MAUER  … WIEDERHAM !!! ICH  … WILL  … DIE MAUER WIEDERHAM !!! ICH WILL  … DIE MAUER  … WIEDERHAM !!! ICH WILL DIE  … MAUER  – WIEDERHAM !!! ICH  … WILL  … DIE MAUER WIEDERHAM !!! …«
    Okay, Markus, du schiebst gerade ein Kind die weltberühmte Bernauer Straße runter, und es brüllt aus Leibeskräften, dass es die Mauer wiederhaben will. Das ist zugegebenermaßen ein ziemlicher Streifen. Aber sieh die positiven Seiten. Wenigstens musst du nicht mehr an die versaute Präsentation von heute Morgen denken. Und überhaupt – hättest du ein anderes geschichtliches Thema ähnlich ungeschickt angeschnitten, würde dein Sohn jetzt womöglich »Ich will den Hitler wiederham!« brüllen. Musst du auch mal so sehen …
    Da, endlich die Brunnenstraße. Ich fege um die Ecke. Mit jedem Meter, den wir uns von der Bernauer Straße entfernen, geht es mir ein wenig besser, auch wenn Daniel mit jedem Schritt immer noch lauter brüllt.
    158, 159, 160. Geschafft. Hier wohnt Andi.
    » ICH WILL DIE  … MAUER  … WIEDERHAM !!! ICH  … WILL  … DIE MAUER WIEDERHAM !!! ICH WILL  … DIE MAUER  … WIEDER  … HAM !!! ICH WILL DIE  … MAUER  … WIEDERHAM !!! ICH  … WILL  … DIE MAUER WIEDER  … HAM !!! …«
    Mach schnell, Andi. Bitte, bitte! Ah, der Türsummer. Daniel hat sich inzwischen in einen anderen Bewusstseinszustand gebrüllt. Seine Pupillen sind irgendwo unter seine Augenlider geglitten wie bei einem Voodoopriester in Trance. Ich schnappe ihn mir, stürme in den zweiten Stock und renne Andi in der Tür fast über den Haufen.
    »Was ist denn hier los?«
    »Erklär ich dir später. Hast du Fischstäbchen?«
    »Fischstäbchen?«
    »Fisch-stäb-chen!«
    »Puh, na ja, mussma gucken …«
    Andi hat

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