Schieß, wenn du kannst Kommissar Morry
gibt keinen Zweifel, daß jemand den Pavillon als Nachtasyl benutzt haben muß, irgendein Landstreicher vielleicht."
„Gut möglich. Wünschen Sie, daß wir den Fall näher untersuchen?"
„Ich halte das Vorkommnis für unbedeutend, Kommissar. Etwas Ähnliches ist uns schon zu wiederholten Malen passiert. Bisher wurde nur ein einziges Mal etwas gestohlen. Nein, ich möchte wegen dieser Lappalie keine Anzeige erstatten."
„Wie Sie wünschen. Übrigens glaube ich zu wissen, wer bei Ihnen im Pavillon geschlafen hat. Es war vermutlich Ray Crane."
„Crane? Was Sie nicht sagen! Was wollte er ausgerechnet hier?"
„Irgendwo muß er sich ja verstecken. Wenn es Ihnen recht ist, lasse ich in den kommenden Nächten das Grundstück überwachen."
„Meinen Sie, daß ier wiederkommen wird?"
„Das ist nicht ausgeschlossen."
„Ein Mörder auf meinem Grund und Boden? Das ist ein starkes Stück. Es wird besser sein, wenn ich Howard gegenüber nichts davon erwähne. Er hat keine sehr starken Nerven und ist, nun ja, ein wenig furchtsam."
„Es sollte mich nicht wundern, wenn es Cranes ursprüngliche Absicht war, Sie aufzusuchen."
„Mich?"
„Ganz recht . . . Sie haben ja seine Verlobte gekannt."
„Na und? Ich sehe keine Verbindung."
„Noch eins: es war Crane, der Ihren Wagen gestohlen hat!"
„Sie verwirren mich, Kommissar. Sie sagten doch, der Wagen sei noch nicht gefunden worden? Hat man denn Crane verhaftet und ein Geständnis von ihm erhalten?"
„Nein, aber wir wissen, daß Crane den Wagen benutzt hat."
„Er ist gesehen worden?"
„Nicht nur das. Man weiß, daß er den Kombi zum Transport einer Leiche benutzte."
Grahams Gesichtszüge schienen zu versteinern.
„Heißt das ... er hat ein neues Verbrechen begangen?"
„Das wird sich noch herausstellen."
„Sagen Sie, Kommissar . . . warum vermuten Sie, es könne Cranes Absicht gewesen sein, mich aufzusuchen?"
Morry winkte ab.
„Das war nur so ein Gedanke von mir." Er stand auf. „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich mich jetzt zurückziehe. Ich war den ganzen Tag auf den Beinen und hätte nichts dagegen, heute mal zeitig ins Bett zu kommen."
„Wer schläft, sündigt nicht", witzelte Graham etwas gequält und brachte den Besucher an die Tür. „Ich wünschte, meine Frau würde diesen Grundsatz ein wenig mehr beherzigen."
„Sie wird sich gewiß noch ändern", meinte Morry.
„Meinen Sie wirklich, Kommissar?"
Als Graham in die Bibliothek zurückkehrte, war das junge rothaarige Mädchen noch immer dabei, in dem Buch zu blättern. Sie legte es beiseite, als Graham mit einem breiten Lächeln auf sie zukam und unmittelbar vor ihr stehenblieb.
„Ich frage mich immer, nach wem Sie eigentlich geraten sind, Pamela", sagte er. „Sie sehen weder Ihrem Vater noch Ihrer lieben Frau Mutter sehr ähnlich."
Pamela erwiderte das Lächeln und blickte dem Sprecher in die Augen. Graham hatte sie schon immer gefesselt... aber etwa so, wie einen ein Tiger fesselt, seine Schönheit, seine katzenhaften Bewegungen und das Geheimnis seiner Existenz.
Die Art, wie Graham sie anschaute, hatte etwas Spöttisches, aber zugleich auch Bewunderndes. Es war der Blick eines Menschen, der den Hunger des Begehrens kennt. Pamela fürchtete sich vor diesem Blick . . . und doch zog er sie an, weil sie dahinter die Verehrung erkannte, die der Mann ihrer jungen strahlenden Schönheit entgegenbrachte.
„Ich dachte, ich sähe Mama ähnlich", meinte sie.
Graham lachte.
„Nicht die Spur, meine Liebe."
„Aber die Augen ... die habe ich doch von Papa, nicht wahr?"
„Lassen Sie mich sehen!"
Er ging auf den Sessel zu und stützte sich mit beiden Händen auf die Armlehnen. Dann beugte er sich zu ihr hinab und näherte sein Gesicht mit einem leicht schalkhaften Lächeln dem ihren. Pamelas Herz klopfte, als sie seine Nähe spürte. Es war eine seltsame Gefühlsmischung, zusammengesetzt aus heißer Erregung und kalter Ablehnung, aus dunklen Wünschen und leisem Widerwillen. Sie wagte es nicht, den Kopf zur Seite zu nehmen.
„Ihre Augen gleichen kostbaren Jadesteinen, auf die die Strahlen der Morgensonne fallen", flüsterte er, ohne die Stellung zu verändern. Seine Stimme war leise geworden. Sie hatte einen zärtlichen, betörenden Klang angenommen. „Es sind die schönsten Augen, die ich kenne.”
Pamelas Blick verdunkelte sich. Sie war noch niemals in einer ähnlichen Situation gewesen. Sie, die noch nicht einmal einen Mann geküßt hatte, wünschte davonzulaufen, so schnell sie
Weitere Kostenlose Bücher