Schiffbruch Mit Tiger
bisweilen, ob nicht im Mittelpunkt eines Sonnensturms, in den Weiten des Meers der Ruhe, doch noch jemand ist wie er selbst, der ebenfalls aufblickt, genauso gefangen in der Geometrie, einer, der sich ebenso müht mit Furcht, Wut, Wahnsinn, Hoffnungslosigkeit und Gleichgültigkeit.
Man könnte auch sagen, ein Schiffbrüchiger ist gefangen zwischen den krassesten, zermürbendsten Gegensätzen. Wenn es hell ist, blendet die offene See das Auge, und die Weite schreckt ihn. Nachts ist das Dunkel bedrückend. Bei Tage leidet er unter der Hitze, er wünscht sich Kühle und träumt von Eiscreme und übergießt sich mit Meerwasser. Am Abend wird es kalt, er hätte es gern wärmer, er träumt von dampfendem Curry und wickelt sich in Decken. Wenn es heiß ist, quält ihn der Durst, und er wünscht sich Wasser. Wenn es regnet, ertrinkt er beinahe darin und sucht nur noch nach einem trockenen Plätzchen. Wenn Nahrung da ist, ist es zu viel und er muss sich vollstopfen. Wenn nichts da ist, ist auch nichts zu finden, und er leidet Hunger. Ist die See reglos und spiegelglatt, wünscht er sich Bewegung. Wenn es auffrischt und ringsum steigen die Wasserberge auf, erlebt er jene seltsame Beklemmung, die es nur auf hoher See gibt, ein Gefühl des Erstickens an der freien Luft, und wünscht sich nichts sehnlicher als eine ruhige See. Oft hat er zwei Extreme zur gleichen Zeit; zum Beispiel brennt die Sonne, bis er halb ohnmächtig daliegt, aber er weiß auch, dass die Fischstreifen an der Leine prächtig dörren und die Solardestillen ihr Maximum produzieren. Wenn andererseits ein Regenguss die Trinkwasservorräte auffüllt, weiß er zugleich, dass die Feuchtigkeit nicht gut für den Stockfisch ist, und manches wird hinterher verdorben sein, zergangen und grün. Wenn das schlechte Wetter schließlich nachlässt und sich abzeichnet, dass er den Angriff des Himmels und die Tücke der See überlebt hat, wird ihm der Triumph gleich wieder durch die Wut darüber vergällt, dass so viel gutes Wasser einfach ins Meer gefallen ist, und den Kummer darüber, dass es vielleicht der letzte Regen war, den er im Leben gesehen hat, dass er verdursten wird, bevor die nächsten Tropfen fallen.
Das schlimmste Gegensatzpaar sind Langeweile und Angst. Manchmal geht sein Leben wie ein Pendel zwischen beiden hin und her. Die See liegt unbewegt. Kein Lüftchen weht. Die Stunden ziehen sich endlos. Er langweilt sich dermaßen, dass er in eine Apathie, fast schon ein Koma, verfällt. Dann plötzlich raue See, und die Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Und nicht einmal zwei so krasse Gegensätze bleiben klar getrennt. Die Langeweile bringt selbst ihre Schrecken hervor: plötzlich bricht er in Tränen aus, entsetzliche Angst packt ihn, er schreit, er verletzt sich mutwillig. Und mitten im Schrecken - im schlimmsten Sturm - spürt er eine Langeweile, einen tiefen Überdruss am ganzen Leben.
Nur der Gedanke an den Tod kann ihn dann noch wirklich berühren, ob er ihn nun in der Sicherheit eines langweiligen Augenblicks bedenkt oder ob er sich vor ihm retten will, im Moment, in dem das Leben flüchtig und bedroht ist.
Viel Leben gibt es auf einem Rettungsboot nicht. Es ist wie die letzten Züge einer Schachpartie, wenn nur noch ganz wenige Figuren auf dem Brett sind. Die einzelnen Elemente könnten nicht einfacher sein, der Einsatz nicht höher. Körperlich ist es unglaublich anstrengend, und es tötet den Willen schließlich ab. Man muss sich anpassen, wenn man überleben will. Vieles wird entbehrlich. Der Schiffbrüchige holt sich sein Glück, wo er es bekommen kann. Der Tag kommt, an dem er in der tiefsten Hölle sitzt, und doch hat er die Arme vor der Brust verschränkt und ein Lächeln auf den Lippen, und fühlt sich wie der glücklichste Mensch auf Erden. Und warum? Vor ihm am Boden liegt ein winziger toter Fisch.
Kapitel 79
Haie begegneten uns Tag für Tag, in erster Linie Makos und Blauhaie, aber auch Weißflossenhaie und einmal ein Tigerhai wie aus dem finstersten Alptraum. Die Dämmerung war ihre liebste Zeit. Sie belästigten uns nie ernsthaft. Hin und wieder schlug einer von ihnen mit dem Schwanz an den Bootsrumpf. Ich glaube nicht, dass das zufällig geschah (andere Meeresbewohner taten es ebenfalls, Schildkröten und sogar Doraden). Vermutlich wollten die Haie erkunden, was es mit dem Boot auf sich hatte. Ein gezielter Schlag mit dem Beil auf die Nase ließ den Übeltäter blitzschnell in die Tiefe verschwinden. Das Schlimmste an den Haien war,
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