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Schiffbruch Mit Tiger

Schiffbruch Mit Tiger

Titel: Schiffbruch Mit Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yann Martel
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verließen sie den Baum wieder. Und genauso ging es bei sämtlichen anderen Bäumen weit und breit. Die Ebene war zusehends von Erdmännchen bevölkert, und die Luft füllte sich mit den Geräuschen ihres neuen Tags. Der Baum sah verlassen aus. Und ich fühlte mich auch ein wenig verlassen. Es war schön gewesen, bei den Erdmännchen zu schlafen.
    Von da an schlief ich jede Nacht in dem Baum. Ich nahm ein paar nützliche Dinge aus dem Boot mit und richtete mir ein hübsches Baumhaus ein. Ich gewöhnte mich an die Kratzer, die mir die Erdmännchen oft unabsichtlich zufügten, wenn sie über mich kletterten. Meine einzige Beschwerde wäre, dass diejenigen, die weiter oben im Baum saßen, mich manchmal bekackten.
    Eines Nachts weckten mich die Erdmännchen. Sie schnatterten und waren in heller Aufregung. Ich setzte mich auf und schaute in die Richtung, in die sie blickten. Der Himmel war wolkenlos, und es herrschte Vollmond. Sämtliche Farbe war aus der Landschaft gewichen. Alles schimmerte in geheimnisvollen Schwarz-, Grau- und Weißtönen. Es war der Teich. Darin bewegten sich silberne Formen, sie tauchten auf und durchbrachen die schwarze Oberfläche des Wassers.
    Fische. Tote Fische. Sie kamen aus der Tiefe an die Oberfläche. Der Teich - sein Durchmesser betrug, wie gesagt, immerhin zwölf Meter - füllte sich mit toten Fischen, bis die Oberfläche nicht mehr schwarz, sondern silbern war. Und da das Wasser nicht zur Ruhe kam, mussten wohl immer noch mehr tote Fische nachkommen.
    Als schließlich ein toter Hai lautlos aus der Tiefe auftauchte, waren die Erdmännchen außer sich vor Erregung und machten einen Lärm wie tropische Vögel. Die Hysterie griff auch auf die benachbarten Bäume über. Es war ohrenbetäubend. Ich fragte mich, ob ich wohl gleich mit ansehen würde, wie sie die Fische auf die Bäume holten.
    Aber kein einziges Erdmännchen kletterte hinunter zum Teich. Sie zeigten keinerlei Anstalten dazu. Sie machten nur lauthals ihrer Enttäuschung Luft.
    Mir war der Anblick von so vielen toten Fischen unheimlich. Sinister.
    Ich legte mich wieder hin und versuchte trotz allem Erdmännchengezeter wieder einzuschlafen. Beim ersten Tageslicht wurde ich aus dem Schlaf gerissen von dem Tumult, den sie veranstalteten, als sie alle gleichzeitig den Baum verließen. Ich gähnte und streckte mich und sah hinunter zu dem Teich, der in der Nacht für so viel Aufregung gesorgt hatte.
    Er war leer. Zumindest beinahe. Aber es war nicht das Werk der Erdmännchen. Die schickten sich eben erst an, die Reste herauszufischen.
    Die Fische waren verschwunden. Nun war ich vollends verblüfft. War es der falsche Teich? Nein, es war eindeutig der, den ich in der Nacht gesehen hatte. War ich sicher, dass nicht die Erdmännchen ihn leergefischt hatten? Ja, vollkommen sicher. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie einen ganzen Hai aus dem Wasser gezogen und auf ihren Rücken abtransportiert hatten. Und Richard Parker? Dem hätte ich es zugetraut, aber nicht einen ganzen Teich in einer einzigen Nacht.
    Es war ein völliges Rätsel. So sehr ich auch in den Teich und auf seine grünen Flanken starrte, es gab keine Erklärung, was mit den Fischen passiert war. In der nächsten Nacht blieb ich wach, aber es tauchten keine neuen Fische auf.
    Die Lösung des Rätsels fand ich einige Zeit später, tief im Wald.
    In der Mitte des Waldes waren die Bäume höher und standen dicht beieinander. Darunter wuchs nichts, denn es gab keinerlei Unterholz, oben aber war das Blätterdach so dicht, dass der Himmel nicht zu sehen war, oder, um es anders auszudrücken, der Himmel war einfarbig grün. Der Abstand zwischen den Bäumen war so gering, dass ihre Äste sich berührten; sie wuchsen ineinander und bildeten ein dichtes Geflecht, sodass man kaum noch sagen konnte, wo ein Baum endete und der nächste begann. Mir fiel auf, dass sie glatte, unversehrte Stämme hatten, ohne die vielen winzigen Kratzspuren, die die Erdmännchen sonst auf der Rinde hinterließen. Ich erriet schnell, warum das so war: Die Erdmännchen mussten hier nicht hinauf- oder hinunterklettern, wenn sie von einem Baum zum anderen gelangen wollten. Den Beweis lieferten zahlreiche Bäume am äußeren Rand des dichten Waldes, deren Rinde in Fetzen herabhing. Diese Bäume dienten also als Eingangstore zu einer Baumstadt der Erdmännchen, in der es hektischer zuging als in Kalkutta.
    Und dort fand ich den Baum. Es war weder der größte im Wald noch lag er genau in der Mitte, und er war

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