Schiffbruch Mit Tiger
offenbar auf den Boden des Rettungsboots. Eine viel versprechende Entwicklung. Wenn es mir gelang, die Plane für mich zu beanspruchen, konnten wir miteinander auskommen.
Ich hielt die Luft an und reckte den Hals, bis ich seitlich am Rand des Deckels vorbeischielen konnte. Am Boden des Rettungsboots schwappte Regenwasser, etwa zehn Zentimeter tief - Richard Parkers persönlicher Süßwasserteich. Er tat genau, was ich an seiner Stelle auch getan hätte: Er suchte Abkühlung im Schatten. Es war ein grässlich heißer Tag. Er lag mit dem Rücken zu mir flach am Boden des Boots, die Hinterbeine gespreizt und weit von sich gestreckt, die Fußsohlen nach oben gedreht. Es war eine lächerliche Stellung, aber zweifellos sehr bequem.
Dann widmete ich mich wieder der Frage des Überlebens. Ich öffnete eine Notration und aß, bis ich satt war, etwa ein Drittel des Päckchens. Es war erstaunlich, wie wenig davon man brauchte, um den Magen zu füllen. Ich war gerade im Begriff, einen Schluck aus dem Regenbehälter zu nehmen, den ich mir über die Schulter gehängt hatte, da fiel mein Blick auf die Trinkbecher mit Maßeinteilung. Wenn ich schon nicht baden konnte, warum sollte ich mich dann nicht wenigstens laben? Meine eigenen Wasservorräte würden schließlich nicht ewig reichen. Ich ergriff einen Becher, beugte mich vor, klappte den Stauraumdeckel gerade so weit wie nötig zurück und tauchte den Becher zitternd in Parkers Teich, gut einen Meter von seinen Hinterbeinen entfernt. Die nach oben gewandten Ballen seiner Pranken mit dem nassen Fell ringsherum sahen aus wie winzige unbewohnte Inseln in einem Gürtel aus Seetang.
Ich ergatterte gut 500 Milliliter. Das Wasser war ein wenig trübe. Kleine Verunreinigungen schwammen darin. Ob ich mir Sorgen machte, dass ich mich mit entsetzlichen Bakterien infizierte? Keinen Gedanken verschwendete ich darauf. Ich dachte nur an meinen Durst. Ich leerte den Becher mit großem Behagen bis auf den Grund.
Gleichgewicht ist der Grundgedanke der Natur, daher überraschte es mich nicht, dass ich fast unmittelbar danach den Drang zum Wasserlassen verspürte. Ich benutzte den Becher zum Auffangen und produzierte exakt die gleiche Menge, die ich eben zu mir genommen hatte, als ob es die Minute dazwischen nie gegeben hätte und ich hielte noch immer das Glas mit Richard Parkers Regenwasser in der Hand. Ich zögerte. Am liebsten hätte ich es gleich noch einmal getrunken. Ich trotzte der Versuchung. Doch es war schwer. Man mag das noch so seltsam finden, aber mein Urin sah köstlich aus! Ich war ja noch nicht so ausgetrocknet wie später, und die Flüssigkeit war hell und klar. Sie funkelte in der Sonne wie ein Glas Apfelsaft. Und sie war garantiert frisch, was man von den Wasserkonserven in meinem Vorrat mit Sicherheit nicht behaupten konnte. Aber stattdessen tat ich etwas Vernünftigeres. Ich versprengte den Urin auf Plane und Stauraumdeckel und meldete damit meine Revieransprüche an.
Ich stahl Richard Parker zwei weitere Becher Wasser, diesmal ohne anschließend zu urinieren. Ich fühlte mich gut, wie eine frisch gegossene Zimmerpflanze.
Jetzt war es an der Zeit, dass ich meine Lage verbesserte. Ich wandte mich dem Inhalt des Stauraums und den vielen Möglichkeiten zu, die er mir eröffnete.
Ich holte ein zweites Seil hervor und vertäute damit das Floß am Rettungsboot.
Ich fand heraus, was eine Solardestille ist. Eine Solardestille ist ein Gerät zum Entsalzen von Meerwasser. Es besteht aus einem aufblasbaren durchsichtigen Kegel, der auf einer Art Schwimmring sitzt, über dessen Mitte ein Stück schwarzes, gummibeschichtetes Segeltuch gespannt ist. Das Ganze arbeitet nach dem Verdunstungsprinzip: Meerwasser, das unter dem abgeschlossenen Kegel auf dem schwarzen Segeltuch steht, wird von der Sonne erhitzt, verdampft und schlägt sich an der Innenseite des Kegels nieder. Dieses salzfreie Wasser läuft an der Kegelwand herab, sammelt sich in einer Rinne am äußeren Rand und tropft von dort in einen Auffangbeutel. Das Rettungsboot war mit zwölf solchen Destilliergeräten ausgerüstet. Ich las die Gebrauchsanweisung sorgfältig durch, wie es im Überlebenshandbuch stand. Dann blies ich alle zwölf Kegel auf und füllte die Schwimmkammern vorschriftsmäßig mit je zehn Litern Meerwasser. Ich band die Destillen aneinander und befestigte ein Ende des kleinen Flottenverbands am Rettungsboot, das andere am Floß. Auf diese Weise würde ich, falls einer der Knoten sich löste, nicht gleich
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