Schiffbruch und Glücksfall
nicht zu übersehen, und ausgeschildert ist der Weg zu ihm auch.«
Was stimmte, Men Marz ragte mitten aus einer Wiese hoch auf, ein magischer Stein, wie sein Name sagte. Um ihn herum lagen weitere mächtige Steine, und man hatte blühende Büsche zwischen sie gepflanzt. Gekrönt wurde der Menhir von einem Kreuz. Einige Tafeln informierten die Besucher über seine Geschichte und über die Mühe, die es den Menschen vor fünftausend Jahren bereitet hatte, einen solchen Koloss aufzustellen. Später hatten Missionare versucht, den von den Bewohnern verehrten Stein zu christianisieren. Kelda fragte sich, ob das an seiner Magie etwas geändert hatte.
Magie strahlte er aus – zumindest für sie. Sie umkreiste ihn langsam, ging dann näher heran. Legte ihre Hand auf seine warme, raue Oberfläche und lehnte sich schließlich an ihn. Kleine Wolken zogen über den blauen Himmel, warfen Schattenbäusche über das Land. Die Zeit verlor ihre Bedeutung, während sie den Wind in ihren Haaren spielen ließ. Zeit wandelte, Zeit veränderte. Seit Tausenden von Jahren aber stand dieser Stein schon hier. Warum man ihn einst aufgestellt hatte – es gab viele Theorien darüber. Die meisten waren mehr als absonderlich. Keine der bekannten hatte sie bisher überzeugt. Sie nahm seine Existenz einfach als gegeben hin.Als ein Zeichen in der Landschaft, eine Markierung für etwas, das sich im Inneren wie im Äußeren abspielen konnte.
Die Ruhe, die Kelda empfand, während sie an ihn gelehnt den Flug der Wolken verfolgte, war Grund genug. Trauer flog vorbei, Trauer um eine Liebe, die gescheitert war. Sechs Jahre, Gewohnheiten, Vertrauen, Zärtlichkeit – gewandelt in Ungeduld, Verständnislosigkeit und leise Verachtung. Auseinanderleben. Trotz all dem tat es weh. Und wie die Zukunft aussah, würde ihr auch dieser alte Stein nicht verraten.
Schließlich stieß sie sich von ihm ab und umrundete ihn noch einmal. Auf dem Boden lagen etliche glattgeschliffene Kiesel, wie man sie am Strand finden konnte. Kelda hob einen auf – grau, von weißen Adern durchzogen. Angenehm lag er in ihrer Hand.
Jeanne, die Frau jenes Mannes, dessen Grab sie gefunden hatte – Witwe, dann angeblich von ihrem Mann verlassen, war verbittert und zänkisch geworden.
Das sollte ihr besser nicht passieren.
Oder war sie schon zänkisch geworden? Hatte sie Matt gegenüber zu wenig Nachsicht walten lassen? Gehörte zu einer Beziehung nicht auch, dass man die Fehler des anderen tolerierte?
Kelda sah zu dem Menhir hoch. Gut acht, neun Meter ragte er auf, und über ihr befand sich ein flacher Vorsprung im Stein, auf dem weitere Kiesel lagen. Spielerisch warf sie den ihren nach oben. Er landete mit einem leisen Klack und blieb liegen.
Menhir-Billard.
Die Wolken hatten sich zusammengeballt, und der Wind war heftiger geworden. Kelda schlenderte zurück zum Wagen und fuhr ziellos Richtung Küste. Ein kurzer, aber heftiger Regenschauer prasselte nieder, dann kam wiederdie Sonne hervor. Das Wetter wechselte schnell in dieser Gegend.
Ihre Stimmung leider nicht, die blieb seltsam überschattet.
Darum war es ihr ganz recht, wieder in der Crêperie auszuhelfen. Arbeit verscheuchte trübe Gedanken. Als sie damals ihr Auslandsjahr in Nantes verbracht hatte, hatte sie auch hin und wieder gekellnert, um ihr Taschengeld aufzubessern. Dabei hatte sie Marie-Claude kennengelernt, die dort als Köchin arbeitete. Sie traute ihr an diesem Abend denn auch zu, die Gäste zu bedienen.
Als die späte Dämmerung hereinbrach, waren sie schließlich alleine. Marie-Claude füllte ein Schälchen mit Sahne und stellte es neben die Türschwelle.
»Soquette besteht darauf«, meinte sie lächelnd, und schon tauchte die Weißpfotige aus dem Garten auf. Gemeinsam räumten sie eben die letzten Tische ab, als der Wahnsinn begann. Mit gesträubtem Rückenfell und aufgeplustertem Schwanz begann die Katze zu fauchen. Und dann verwandelte sie sich in einen Wirbelwind. Über Tische und Stühle ging es, ein Sonnenschirm fiel um, ein Blumentopf wackelte bedenklich. Soquette stob durch das offene Küchenfenster. Es klirrte und krachte, und Marie-Claude begann laut zu schimpfen.
Ein Tablett mit schmutzigen Tellern lag als Scherbenhaufen auf dem Boden, als Kelda eintrat. Soquette saß daneben und putzte sich verlegen den Schwanz.
»Unmögliches Biest«, seufzte meine Freundin.
»Es tut ihr leid, siehst du das nicht?«
»Ich weiß, aber sie ist mein Ruin.«
Kelda streichelte das jämmerlich dreinblickende
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