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Schiffbruch und Glücksfall

Schiffbruch und Glücksfall

Titel: Schiffbruch und Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Jenny.«
    »Deine Mutter?«
    »Meine Mutter.«
    »Diese Ehe war das Ende seiner Karriere?«
    »Das Ende von Luc le Gamache, ganz richtig. Er nahm den Namen Lukaz Tobant an – ob es sein wahrer Name war, haben wir nie herausgefunden. Es war in jenen Zeiten leicht, sich eine passende Identität zu verschaffen, und durch die Heirat erhielt er dann auch die deutsche Staatsbürgerschaft.«
    »Warum ist er nur nie in seine Heimat zurückgekehrt?«
    »Einmal, kurz vor seinem Tod, hat er gesagt, weil er Angst vor seiner Mutter hatte. Von ihr hat er auch nie gesprochen – etwas musste damals vorgefallen sein. Vielleicht hing es mit dem Schiffbruch zusammen. Vielleicht fühlte er sich schuldig am Tod seines Vaters – ich weiß es nicht. Aber er hat mir das Land immer voller Sehnsucht geschildert, er hat die Bretagne sehr geliebt.«
    »Wann ist er gestorben? Ich meine, er war ja nicht mehr der Jüngste, als er seine Nachkommen zeugte.«
    »Er ist zweiundneunzig Jahre alt geworden, sein erstaunlicher Lebenswandel hat ihm nicht geschadet. Ich war dreizehn damals, und als er gestorben ist, brach für mich eine Welt zusammen.«
    »Du hast ihn geliebt.«
    »Ja, verehrt und bewundert. Seine Geschichten über die Schmuggelfahrten waren besser als jeder Abenteuerroman, seine Histörchen aus dem Spirituosenhandel reizten mich immer wieder zum Lachen, die aus dem Offizierkasino brachten mir die Geschichte des Krieges näher, und seine Erlebnisse im Schiffsbedarfshandel weckten mein Fernweh.«
    »Weshalb du hergekommen bist?«
    »Ja, und der Auslöser war mein Onkel Henry – sein ältester Sohn. Er kam vor zehn Jahren bei einem Unfallums Leben. Er war unverheiratet, und so erbten meine Mutter und ich das, was sein Vater ihm hinterlassen hatte. Neben einem nicht unbeträchtlichen Kapital auch ein Haus in der Bretagne. Onkel Henry hatte sich schon nach Großvaters Tod auf die Suche nach dem im Testament erwähnten Gebäude gemacht, hat es aber nicht gefunden.«
    »Hat er denn keinen Ort erwähnt?«
    »Doch, aber so, wie er ihn geschrieben hat, konnte er ihn hier nicht finden. Großvater sprach nämlich nicht Französisch.«
    »Wie das?«
    »Er war Bretone, Kelda.«
    »Oh, klar.«
    Bretonisch war eine alte keltische Sprache und ähnelte dem Französischen wie eine Kuh einer Möwe.
    »Mit unserer Suche landeten wir immer in Italien, nicht in der Bretagne. Ein Ponte Valles gibt es hier nicht, genauso wenig wie den Namen Tobant. Onkel Henry hat allerdings auch nicht besonders ernsthaft nachgeforscht. Eine Fischerkate, wenn sie denn überhaupt noch stand, kümmerte ihn wenig.«
    »Dich schon?«
    »Mich schon. Nicht um sie zu besitzen, sondern weil sie eine Verbindung zu meinem Großvater wäre. Das war der – vielleicht sentimentale – Antrieb für mich, vor Ort meine Suche durchzuführen. Aber auch ich fand keine Spur, und darum nahm ich das Angebot der Firma an, die sich auf Sanierung denkmalgeschützter Gebäude spezialisiert hat.«
    »Hast du hier nach ihm gesucht?«
    »Zunächst ja. Auf Grund der Geschichten von Großvater glaube ich, dass diese Gegend in Frage kommt – kleiner Hafen, Goëmoniers, Guernesey-Schmuggel – das passt alles schon.«
    »Einwohnerverzeichnisse? Kirchenbücher?«
    »Stecknadel in Heuhaufen. Hier sind in den vergangenen hundert Jahren etliche Umstrukturierungen erfolgt, Gemeinden sind umgebildet, Verwaltungsbezirke neu geordnet worden. Ich müsste seine Geburtsurkunde finden oder einen Hinweis auf seine Eltern. Bislang bin ich da nicht fündig geworden. Und dann habe ich durch meinen Job einige Jahre im Süden verbracht und mich nicht weiter darum gekümmert.«
    Die vier Veteranen fielen Kelda ein. Sie pflegten ein langes Gedächtnis. Die Geschichte von Jerôme Bellard hatten sie erzählt, als sei sie vorgestern passiert.
    »Hast du mal mit den alten Leuten hier gesprochen, Simon? Vielleicht erinnern sie sich ja an diesen Schiffbruch. Ich habe den Eindruck, dass solche Ereignisse hier zur allgemeinen Unterhaltung jahrelang beitragen.«
    »Mhm – nein, das habe ich noch nicht versucht. Aber du hast recht, Geschichten halten sich lange. Ich könnte Xavier mal befragen. Der ist zwar ein Kauz und schwafelt lieber über Korriganen und seltsame Meerwesen, mit denen er in Kontakt steht, aber möglicherweise erinnert er sich an den Schmuggler, der kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs zusammen mit seinem Sohn ertrunken ist.«
    »Ich werde mal die vier Alterchen fragen, wenn sie sich wieder im
Marée

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