Schiffbruch und Glücksfall
scharf.
Er tat es nicht. Er sprühte Gift.
»Du kommandierst mich herum wie einen Hund. Du lässt es zu, dass man mir ein paar uniformierte Wichtigtuer auf den Hals hetzt. Und dann bist du noch nicht mal bereit, mir aus der Patsche zu helfen.«
»Du jammerst wie ein unreifer kleiner Junge, ganz genau. Die Suppe hast du dir selbst eingebrockt. Jetzt sei ein Mann und löffel sie auch selbst aus.«
Sie sprach noch immer in gewöhnlicher Lautstärke, aber die Wut in ihr begann schon zu brodeln.
»Ich bin kein kleiner Junge!«, brüllte Matt und schüttelte sie so heftig an den Schultern, dass ihr die Zähne klapperten.
Bevor sie in der Öffentlichkeit zu drastischen Maßnahmen greifen musste, kam plötzlich ein vollbeladener Einkaufswagen näher, geschoben von einer vollbusigen Matrone, und krachte unversehens in Matts Kreuz. Er ließ Kelda los. Eine zweite füllige Madame drängte sich vor sie.
Kelda nutzte die Chance, schnappte Soquettes Knusperflöckchen aus dem Regal und trat geschwind den Rückzug zu ihrem Wagen an. Matt ließ sie in dem Ansturm französischer Beschimpfungen stehen. Zu der Gruppe gesellten sich nämlich nun auch noch der Marktleiter und zwei Regaleinräumer.
Das Surf-Groupie desertierte feige.
Kelda stellte sich an der Kasse an.
Ihre Knie zitterten.
Marie-Claude und Paulette hörten sich ihren wutschnaubenden Bericht verständnisvoll an, und eine große Tasse Milchkaffee zusammen mit einem Schokoladencroissant besänftigte Kelda dann auch wieder.
»Pass auf, dass er sich nicht zum Stalker entwickelt, Kelda«, mahnte Paulette. »Er scheint dich irgendwie als Stütze in allen Lebenslagen zu betrachten. Das ist nicht gesund für einen jungen Mann.«
»Nein, das ist es nicht, aber im Moment kann ich nicht mehr machen als ihm aus dem Weg gehen. Und wenn ich zu Hause bin, werde ich mich wirklich um neue Schlösser kümmern.«
»Bleib noch ein paar Tage länger hier, Kelda, du hast aber noch zwei Wochen Urlaub.«
»Ich kann doch nicht …«
»Doch, du kannst«, sagte auch Paulette. »Wir können auf deine unbezahlte Arbeitskraft nicht verzichten.«
»Pah.«
»Und außerdem kommt Brendan in zwei Wochen zurück, und ihr solltet euch endlich mal kennenlernen.«
»Ich stör doch nur, wenn dein Mann hier ist.«
»Hör endlich auf, so rücksichtsvoll zu sein.«
Das Geplänkel lenkte Kelda von ihrem Zorn auf Matt ab, und dann musste sie das neue Kleid vorführen, bekam den Beerdigungshut, ein rundes Etwas mit einem kleinen Schleierchen, aufgesetzt, musste sich die Haare anders frisieren und fühlte sich dabei richtig als Mädchen.
Jerôme le Filou verbreitete noch Jahre nach seinem Tod seinen vermutlich nicht unbeträchtlichen Charme.
Marie-Claude blieb in der Crêperie, aber Paulette, ebenfalls in Schwarz, was ihr ausgezeichnet stand, begleitete Kelda zum Friedhof. Eine Messe wurde nicht für den Toten gelesen – Angehörige hatte er hier nicht mehr. Doch er erhielt ein christliches Begräbnis. Yves trug zusammen mit einem Mann des Bestattungsunternehmens den kleinen Sarg mit seinen Gebeinen von der Friedhofskapelle zum Grab. Er hatte gesagt, da der Tote so lange sein Untermieter gewesen war, wolle er ihm diesen letzten Dienst erweisen. Kelda hatte er gebeten, hinter ihnen zu gehen, und da sie sich dem goldzahnigen Filou verbunden fühlte, tat sie es auch, froh über ihre angemessene Kleidung. Eine erstaunliche Menge Neugieriger – Trauernde konnte man sie sicher nicht nennen – hatte sich versammelt. Blumen gab man Jerôme Bellard nicht mit ins Grab, und Xavier spuckte sogar darauf. Er war ein sehr alter Mann, und besonders beliebt hatte der Filou sich seinerzeit wohl nicht gemacht.
Das Grab jedoch war das seiner Frau Jeanne, weshalb die anderen wohl von derartigen Unflätigkeiten absahen.
Jeanne Bellard, 1882–1964, las Kelda auf dem Grabstein.
»Sie haben sie gekannt«, sagte sie leise zu Paulette, die ebenfalls versonnen auf die Inschrift schaute.
»Ja, die letzten fünf Jahre ihres Lebens. Eine Frau, die das Unglück verbittert hat. Der erste Mann ist auf See geblieben, der zweite hat sie verlassen – oder, wie wir jetzt wissen, ist erschossen worden. Vermutlich nicht ohne Grund. Kinderlos ist sie geblieben, ohne Nachkommen. Ich war nicht die Einzige, die sie nicht sonderlich mochte. Sie war die Tochter des Bürgermeisters von Plounéour-Trez und trug die Nase daher entsetzlich hoch. Himmel, was hat sie mich herumkommandiert und schikaniert.«
»Zweiundachtzig Jahre ist
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