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Schiffbruch und Glücksfall

Schiffbruch und Glücksfall

Titel: Schiffbruch und Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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nett, hatte sensible Streichelhände, gab immer bereitwillig von ihrem Futter ab und war ihr nicht böse, wenn etwas umfiel. Aber herausfordern wollte Soquette das auf gar keinen Fall, denn Kelda konnte auch ganz schön die Krallen zeigen. Das hatte sie beobachtet, als sie neulich die sechs Schnorrer in die Schranken gewiesen hatte.
    Die Schuhe unter dem Bett rochen nach Strand, das Kleid auf dem Stuhl ein bisschen verschwitzt und nach Blumen, ein putziges rundes Ding, mit einem hauchzarten Stück Stoff darum drapiert, lag auf dem Kleid. Soquette hätte gerne damit gespielt, aber sie unterdrückte den Drang. Es sah schrecklich kaputtbar aus.
    Stattdessen sandte sie einen Seitenblick zu Gwenaëlle, die erstaunlich ruhig geblieben war. Irgendwas bastelte die doch da? Irgendwas machte sie mit ihren langen, beweglichen Fingern, die so fies kneifen und pieksen konnten. Soquette setzte sich aufrecht hin und starrte sie neugierig an.
    »Is was?«, fragte Gwenaëlle, ohne aufzusehen.
    »Was machst du da?«
    »Flechten.«
    »Was?«
    »Haare.«
    »Wozu?«
    »Um Verbindungen zu schaffen.«
    »Was für Verbindungen?«
    »Geht dich nichts an.«
    Soquette unterdrückte ein weiteres Fauchen und sprang stattdessen auf den Stuhl am Fenster. Mit dem Ausdruck höchsten Interesses drückte sie ihre Nase an das Glas und schnatterte aufgeregt.
    Die List gelang. Gwenaëlle segelte von der Kommode, um ebenfalls nach draußen zu schauen, Soquette hüpfte vom Stuhl und krallte sich das Ding, mit dem die Korrigane sich beschäftigt hatte. Aufkreischend schoss das Miststück hinter ihr her, aber diesmal war Soquette schneller. Sie hetzte nach unten, sauste durch die Tür in den Garten. Zwei Blumentöpfe gingen dabei leider zu Bruch, bevor sie den Apfelbaum erreichte und den Stamm hochklettern konnte. Auf der bequemen zweiten Astgabel – einer ihrer Lieblingsplätze, von dem aus sie oft unentdeckt das Geschehen beobachtete – legte sie vorsichtig den kleinen Ring ab, den sie ergattert hatte. Neugierig betrachtete sie ihn zunächst, dann setzte sie ihre empfindliche Nase ein.
    Menschenhaare. Das lange dunkle stammte von Kelda, die drei kürzeren braunen von Simon.
    Spannend!
    Was wollte Gwenaëlle damit anrichten? War das ein böser Zauber?
    Es raschelte über ihr in den Blättern, und ein heftiges Zwicken in ihrem Nacken schreckte Soquette dermaßen auf, dass sie den kleinen Haarring aus Versehen von der Astgabel wischte. Gwenaëlle war flink, ohne Zweifel. Sie hatte ihn aufgefangen, bevor er den Boden erreicht hatte.Dann zischte sie eine derbe Beleidigung in Soquettes Richtung, flatterte zum Dach des Hauses und verschwand im Kamin.
    Miststück!
    Und die Blumentöpfe waren durch ihre Schuld auch kaputt gegangen.

Zahlenakrobatik
    Marie-Claude war genau so aufgeregt wie Paulette und Kelda, als sie von ihrer Entdeckung auf dem Friedhof berichteten. Nachdem sie den abendlichen Scherbenhaufen, diesmal waren es zum Glück nur zwei tönerne Blumentöpfe mit Rosmarin und Petersilie, die bei Soquettes wildem Toben zu Bruch gegangen waren, aufgeräumt hatten, setzten sie sich zusammen, um ihre Beute zu sichten.
    »Ich versuche schon die ganze Zeit, alle möglichen Erinnerungen an die alte Bellard zusammenzukramen«, sagte Paulette und nippte an ihrem Cidre.
    »Du hast mir oft von dem großen Haus erzählt, in dem sie wohnte, Maman.«
    »Die Villa, drüben in Brignogan. Jetzt wohnt eine Familie aus Le Mans dort. Sie haben das Haus vor sieben oder acht Jahren gekauft.«
    »Veuve Bellard starb 1964, richtig? Wer hat das Anwesen denn damals geerbt?«, fragte Kelda.
    »Ein Neffe von ihr. Aus dem Zweig der Havaux aus Plounéour-Trez. Der hat es allerdings vermietet und sich wenig darum gekümmert. Es war – wie soll ich sagen – schon etwas heruntergekommen.«
    »Renovierungsstau nennt man das, glaube ich. Das passiert leider häufig bei Häusern, die von alten Leuten bewohnt werden. Sie sehen keinen Sinn mehr darin, etwas für den Erhalt zu tun.«
    »Hörst du, Maman!«
    »Ich habe gerade neue Vorhänge anbringen lassen. Und eine neue Waschmaschine gekauft!«
    Kelda wurde rot. Ihre Bemerkung war nicht eben geschmackvoll gewesen, fiel ihr bei diesem Wortwechsel auf. Aber Paulette, auch wenn sie schon knapp an die siebzig war, machte überhaupt nicht den Eindruck einer alten Frau.
    »Entschuldigung!«, murmelte Kelda.
    »Keine Ursache, Kelda. Du hast ja recht. Die alte Bellard hockte in ihrer riesigen, zugigen Villa, die langsam um sie herum verrottete. Sie

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