Schiffbruch und Glücksfall
mit den weißbestrumpften Vorderpfoten nach etwas tatzte, das ihr beständig zu entkommen schien.
Zufrieden seufzte Kelda. Es war schön hier, es war wirklichschön und weit interessanter, als die Tage nur am Strand zu verbringen. Sie hatte die Bretagne besser kennenlernen wollen – und war mitten in einen Intensivkurs für bretonische Geschichte geraten.
Was hatte Simon zu seinem seltsamen Verhalten veranlasst?
Warum hatte er ihren freundschaftlichen kleinen Kuss so vehement abgelehnt?
Warum dachte sie eigentlich jetzt daran?
Ein Verdacht
Simon saß noch spät am Abend in seinem Büro in Saint-Pol-de-Léon und erledigte seine Schreibtischarbeiten.
Als Kelda ihn angerufen hatte, obwohl er sich wie der König der Idioten benommen hatte, war Simon ein ganzer Menhir vom Herzen gefallen.
Was hatte ihn nur dazu gebracht, vor diesem harmlosen Abschiedsküsschen zurückzuzucken und wie ein pickeliger, verunsicherter Halbwüchsiger zu fliehen?
Weil er sich in ihrer Gegenwart plötzlich so gefühlt hatte – gestand er sich ein.
Genau so wie damals, als sie so unerreichbar für ihn gewesen war. Als er ständig Angst davor gehabt hatte, dass sie über ihn lachen würde.
Sie war weder unnahbar noch mit einem anderen Mann zusammen. Den Surfer-Matt schien sie gründlich abserviert zu haben. Die Berichte über den Vorfall im Supermarkt waren bis zu ihm gedrungen, und obwohl nicht er die Behörden über das Wildcampen im Naturschutzgebiet informiert hatte, wusste er doch, wer es gewesen war. Marie-Claude. Aber darüber würden sie beide Stillschweigen bewahren. Marie-Claude war eben eine besonders gute Freundin. Ihnen beiden.
Gedankenverloren starrte Simon auf den Bildschirm. Mehrere Angebote, Kalkulationen und Arbeitsberichte musste er noch lesen und bearbeiten, aber nicht nur die Tatsache, dass Kelda tatsächlich das Grab seines Urgroßvaters gefunden hatte, lenkte ihn von seiner Tätigkeit ab, sondern auch seine immer stärker werdende Erkenntnis,dass er die aussichtslose Liebe zu ihr nie überwunden hatte.
In der Liebe hatte er kein Glück.
Punkt.
Wenn er sich schon nicht auf seine Arbeit konzentrieren konnte, dann sollte er sich wenigstens mit den neuen Erkenntnissen zu seinem Großvater beschäftigen.
Lukaz Trobiant – das passte und konnte kein Zufall sein. Mit dem Namen und den Daten auf dem Grabstein müssten er und sein Vater in den Meldeunterlagen zu finden sein. Und darüber hinaus auch das Haus, das seiner Familie gehört hatte. Aber es blieb trotzdem noch die Frage offen, wer dafür gesorgt hatte, dass Vater und Sohn Schiffbruch erlitten hatten.
Wer war ihr Mörder und warum?
Schmuggler führten ein gefährliches Leben. Welche Waren hatten sie außer Tabak und Alkohol noch heimlich transportiert? Welche Feinde hatten sie sich gemacht?
Es dürfte beinahe unmöglich sein, das Geschehen von vor einhundert Jahren zu rekonstruieren, dachte Simon frustriert. Der einzige Anhaltspunkt war Lukaz’ Aussage, dass er nicht zurückkehren wollte, weil er Angst vor seiner Mutter hatte.
Ein furchtbarer Verdacht keimte in Simon auf.
Sollte Jeanne selbst etwa die Sabotage an dem Logger in Auftrag gegeben haben?
Paulette hatte die alte Witwe noch kennengelernt. Vielleicht erinnerte sie sich noch an irgendetwas, wenn er ihr die richtigen Fragen stellte. Auch die vier Veteranen mochten Hinweise liefern können. Kelda hatte ja schon herausgefunden, dass sie für Skandale und Histörchen ein Gedächtnis wie die Elefanten hatten.
Immerhin war das ein Grund, das
Marée bleue
am übernächsten Tag unverzüglich aufzusuchen. Und auch mitXavier sollte er vielleicht mal über die lang vergangenen Zeiten sprechen.
Morgen würde er allerdings erst einmal einige Telefonate führen, um an die Daten von Herri, Jeanne und Lukaz Trobiant zu kommen.
Ob er Kelda zum Dank für ihre Entdeckung zum Essen einladen sollte? Wäre vielleicht kein schlechter Gedanke …
Zeugen der Geschichte
Nach dem mittäglichen Abfüttern der Gäste nahm Kelda sich Marie-Claudes Auto und fuhr zu den alten Villen hinaus, die rund um die Bucht von Brignogan lagen. Sie fand die Villa recht bald und parkte am sandigen Straßenrand. Tatsächlich ragten zwei trutzige Rundtürme aus grauem Stein auf, die das Tor bewachten, das die weiß gekieste Auffahrt verschloss. Dahinter lag aus dem üblichen grauen Stein gebaut ein Miniaturschlösschen. Hortensien, sagenhaft blau, wie sie nur hier in der Salzluft – und guter gärtnerischer Pflege – gediehen,
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