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Schiffbruch und Glücksfall

Schiffbruch und Glücksfall

Titel: Schiffbruch und Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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näherte. Rinnsale zogen sich durch den Sand, manche knöcheltief, bei anderen musste sie sogar ihre Shorts ein Stückchen hochziehen. Vereinzelt lagen glitschige Quallen herum, Muscheln, grüne Algen, die wie nasser Blattsalat aussahen, Seeigel, kleine Krebse. Wenig Zivilisationsmüll, wofür sie dankbar war. Teile einer zerbrochenen Boje, ein Stück Tau, ein Placken Öl war alles, was ihr auffiel.
    Nach einer Weile merkte Kelda, dass sie sich immer weiter vom Strand entfernt hatte, und ließ ihren Blick rundum schweifen. Das Wasser war noch immer weit draußen, man konnte kaum die Brandung erkennen. Auf der einen Seite der Bucht ragte ein Kirchturm auf, dann folgte die Düne. Sie erstreckte sich so weit, dass sie das Ende der Bucht nicht ausmachen konnte. Sie hielt sich also an den Kirchturm und nahm ihre Wanderung in diese Richtung auf. Yves hatte schon ganz recht, man konnte sich auf dieser weiten Fläche schnell verlaufen, wenn man sich keine Markierungspunkte gemerkt hatte.
    Aber der Spaziergang tat ihr gut, und ihre Gedanken schlenderten neben ihr her, ohne sich an etwas Besonderem festzumachen. Erst als sie den Traktor mit dem Anhänger sah, kehrten sie zu der alten Geschichte von Herri Trobiant zurück. Denn der Anhänger war mit einer mächtigen Ladung brauner Algen beladen. Wie breite Bänder sammelten sie sich an der Wasserlinie am Strand, und wie es schien, wurden sie noch immer gesammelt und irgendwo verarbeitet. Kosmetikprodukte aus Algen wurden gerne in den hiesigen Geschenkläden angeboten. Duschgel, Cremes, Seifen in freundlichem Meerblau, zusammengepackt mitMuscheln und Schwämmen in kleinen Körben, schienen sie ein beliebtes Mitbringsel zu sein. Kelda hatte auch schon einige Hinweise auf Wellnessinstitute gesehen, die eine Thalasso-Therapie anboten. Das war eine spezielle französische Form der Badekur, bei der neben Luft, Sonne, Schlick und Salzwasser auch Algen verwendet wurden. Man konnte für eine einfache Wanderung am Meer auch richtig Geld ausgeben …
    Und mit Algen konnte man schon immer Geld verdienen. Das Meer war großzügig zu den Küstenbewohnern. Weshalb die Bretagne vermutlich schon sehr früh besiedelt worden war. Die Megalith-Kultur war hier sehr ausgeprägt. Nicht nur die allerorts vorhandenen Menhire gaben Zeugnis davon, auch die langen Steinreihen, wie man sie mehr südlich fand. Carnac war eine der größten Anlagen, bei Weitem aber nicht die einzige Ansammlung von Steingehegen. Auch Steinkreise fand man immer wieder und vor allem Dolmen. Jene mit Steinplatten überdeckten Höhlen, wie sie auch in Schottland und Irland zu finden waren. Einige hatte man wiederhergestellt, mit Erde und Grassoden überdeckt, so dass sie wie die Behausungen der Hobbits wirkten. Und natürlich standen sie in dem Ruf, Feenhügel zu sein.
    Später hatten sich die Kelten hier angesiedelt, die die Monumente ihrer Vorgänger unberührt ließen, sie aber in ihre Mythologie mit aufnahmen. Erst die Christen hatten angefangen, sie zu zerstören oder mit ihren Kreuzen zu verzieren.
    Doch irgendwie beschlich Kelda das Gefühl, dass die alten Mächte das Land hier nicht verlassen hatten. Sie waren beharrlicher als Weihwasser und Psalmen. Was wiederum die Einstellung solcher Menschen wie Xavier dazu erklärte.
    Sie erreichte den Wassersaum mit seinen Muschelscherbenund Algenhaufen und überquerte ihn vorsichtig. Immerhin hatte sie die richtige Richtung gewählt, vor ihr in der Düne lag ein hässlicher Klumpen Beton – der Bunker.
    Alles hat seine Geschichte, hatte Xaver gesagt.
    Und Geschichte gab es tatsächlich sehr viel hier. Steinerne Geschichte – hier nicht als Menhir oder Dolmen, sondern als Schutzwall – der Westwall, eines dieser überheblichen Projekte einer unrühmlichen Vergangenheit. Solide Arbeit, die schon Jahrzehnte überdauert hatte und auch noch Jahrzehnte von Anmaßung und menschlicher Idiotie zeugen würde.
    Kelda stapfte durch den losen Sand hin zu dem Durchgang durch die Düne, aber noch hatte sie keine Lust, zurück in die Zivilisation zu kehren. Darum setzte sie sich in eine grasige Mulde und sah auf die Bucht hinaus. Ein paar Kinder spielten mit Frisbee-Scheiben, ein Hund tollte durch die Wasserpfützen, Muschelsammler harkten das Watt auf.
    Luc le Gamache war nie wieder hierher zurückgekehrt, obwohl er das Land liebte.
    Warum?
    Der Sog war doch so mächtig.
    Was mochten er und sein Vater für Menschen gewesen sein? Herri war sicher geschäftstüchtig. Als Fischer, Goëmonier

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