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Schiffbruch und Glücksfall

Schiffbruch und Glücksfall

Titel: Schiffbruch und Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Mühlsteinen. Die Eisenbahn machte es möglich, auch schwere Güter zu transportieren. Es kamen auch die immer zahlreicher werdenden Touristen auf ihre Kosten. Die ersten Regatten wurden veranstaltet, im Hafen fanden sich die privaten Yachten ein, am Strand wuchsen hölzerne Badehäuschen, man genoss das Strandleben.
    Jerôme wird in dieser Zeit gute Geschäfte gemacht haben, dachte Kelda, und Madame wird sich in der vornehmen Gesellschaft wohlgefühlt haben. Die kleine Delle, die die Weltwirtschaftskrise hinterlassen hat, schienen beide gut verkraftet zu haben – Immobilien waren schon immer eine sichere Angelegenheit gewesen.
    Dann aber kam der Zweite Weltkrieg, und es wurde ungemütlich.
    Warum wurde Jerôme erschossen und einbetoniert?
    Auch hier fand Kelda nach einer intensiven Suche einige Hinweise. Die Deutschen hatten die Bretagne besetzt und mit dem Irrsinnsprojekt begonnen, den sogenannten Westwall zu errichten, eine Kette von Befestigungsanlagen und Bunkern entlang der gesamten Küste, um die mögliche Invasion vom Atlantik aus abwehren zu können. Die spätereGeschichte hatte gezeigt, dass das eine Fehleinschätzung war. Aber während der Bauzeit war es für die Soldaten eine erfreuliche Abwechslung, fern von der Front einen bequemen Dienst am Strand zu schieben. Zumal die Bevölkerung ihnen nicht allzu feindselig gegenüber eingestellt war. Manche der jungen Männer halfen den Bauern bei der Ernte, bekamen zusätzliches Essen, freundeten sich mit den Mädchen an, lernten die Sprache – und später blieb der eine oder andere auch hier hängen.
    Anders die Offiziere, insbesondere diejenigen, die hinter den Mitgliedern der Résistance her waren. Die Widerstandsbewegung der Bevölkerung wuchs mit der Dauer des Krieges, und insbesondere in der Kanalregion – Schmuggel gehörte nun mal schon immer zum Handwerk der Bewohner – bildeten sich mehr und mehr Gruppen, die Informationen weiterleiteten, Sabotageakte durchführten und die Bewegungen der Deutschen beobachteten. Allerdings gab es auch eine völlig andere Gruppierung ausgerechnet in der Bretagne, die höchst nationalistisch gestimmt war, eine rechte Partei und Organisationen, die sich an der deutschen SS orientierten, eine paramilitärische Gruppe, die zum Kampf gegen die Résistance gegründet wurde. Diese Kollaborateure waren allerdings nicht sonderlich beliebt.
    Kelda stützte das Kinn in die Hände. Xaviers dürre Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf. Sein Vater und seine Schwester waren von den Deutschen gefoltert und hingerichtet worden. Vermutlich waren sie Mitglieder der Widerstandsbewegung. Und vermutlich waren sie verraten worden. Auch wenn es schmerzlich für sie beide war, sie wollte den alten Mann noch einmal dazu befragen.
    Zurück zu Jerôme!, befahl sie sich dann. Zu welcher Gruppe mochte er gehört haben? Oder gehörte er zu gar keiner? Filous wie er pflegten Opportunisten zu sein. Abertrotz allem hatte er sich einen tödlichen Feind geschaffen.
    Die Düfte des Mittagessens krochen durch die Türritzen von Marie-Claudes Arbeitszimmer, und Kelda schaltete den Computer aus. Sie hatte genügend Fragen, die sie den vier Veteranen stellen konnte. Beschwingt lief sie in die Küche, band sich die Schürze um und nahm ihre Arbeit auf.

Geschichtsschreibung
    Simon war am frühen Morgen nach Brignogan gefahren und hatte ebenfalls mit seinen Recherchen begonnen. Als Erstes suchte er das Pfarrhaus auf. Schon am Montag hatte er den Pfarrer gebeten, sich die Aufzeichnungen der Chapelle Pol durchzusehen und nach Messen für einen Schiffbrüchigen im Jahre 1912 zu suchen. Erfreut hörte er, dass der würdige Herr ihm mitteilen konnte, für Herri und Lukaz Trobiant seien im September 1912 drei Messen in der Kapelle gelesen worden. Und pünktlich am 15. September wurde Herris Leichnam angespült. Er war auf dem Friedhof von Brignogan beigesetzt worden. Vermerkt worden war außerdem, dass Herri Trobiant am 12. September 1912 zwischen Pontusval und dem Aber Wrac’h ertrunken war. Sein Sohn Lukaz blieb jedoch vermisst.
    Simons zweites Ziel war die Mairie, und nach einem kleinen Flirt mit der grauhaarigen Amtsleiterin durfte er sich im Archiv mit den alten Dokumenten herumschlagen. Er hatte beschlossen, seinem Urgroßvater über die Eintragungen im Standesamt auf die Spur zu kommen.
    Jetzt, da er endlich seinen richtigen Namen kannte, war es recht einfach, ihn in den Unterlagen ausfindig zu machen. Dort war verzeichnet, dass Lukaz, Sohn des Herri Trobiant

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