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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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treffen wollte. In Bacon Falls, Connecticut. Es fand sich eine Quittung über siebentausend Dollar für »persönliche Dienste«. Es sehe so aus, als habe sie die Kinder an Bruce Cudd verkauft, meinte die Polizei.
    Quoyle, der im Wohnzimmer hinter roten Fingern flennte, sagte, er könne Petal alles vergeben, wenn nur die Kinder in Sicherheit seien.
    Warum weinen wir vor Kummer, fragte sich die Tante. Hunde, Rehe, Vögel litten trockenen Auges und schweigend. Das dumpfe Leiden von Tieren. Vermutlich eine Überlebenstechnik.
    »Du hast ein gutes Herz«, sagte sie. »Andere würden ihre entstellte Leiche verfluchen, weil sie die kleinen Mädchen verkauft hat.« Die Milch war kurz vor dem Sauerwerden. In der Zuckerdose dunkle Klumpen von feuchten Kaffeelöffeln.
    »Das kann ich nie und nimmer glauben – daß sie sie verkauft hat. Nie und nimmer«, heulte Quoyle. Er donnerte mit dem Oberschenkel gegen den Tisch. Das Sofa quietschte.
    »Vielleicht hat sie’s nicht getan. Wer weiß?« tröstete die Tante. »Ja, du hast ein gutes Herz. Du schlägst nach Sian Quoyle. Deinem armen Großvater. Ich hab’ ihn nie erlebt. War tot, bevor ich auf die Welt kam. Aber das Foto von ihm hab’ ich oft gesehen; hatte den Zahn von einem Toten um den Hals hängen. Um Zahnweh abzuwehren. An so was haben die Leute geglaubt. Aber er soll sehr gutmütig gewesen sein, heißt es. Hat gelacht und gesungen. Hat sich von jedem auf den Arm nehmen lassen.«
    »Klingt einfältig«, schluchzte Quoyle in seine Teetasse. »Also, wenn er das war, dann höre ich zum erstenmal davon. Als er unter dem Eis verschwunden ist, soll er gerufen haben: ›Wir sehen uns im Himmel.‹«
    »Die Geschichte kenn’ ich«, sagte Quoyle mit salzigem Speichel im Mund und anschwellender Nase. »Er war noch ein Kind.«
    »Zwölf Jahre alt. Bei der Robbenjagd. Er hat so viele Robbenjunge erlegt wie jeder andere dort, bevor er einen von seinen Anfällen bekam und vom Eis rutschte. Neunzehnsiebenundzwanzig. «
    »Vater hat uns manchmal von ihm erzählt. Aber zwölf kann er nicht gewesen sein. Ich hab’ noch nie gehört, daß er zwölf war. Wenn er mit zwölf ertrunken ist, kann er nicht mein Großvater gewesen sein.«
    »Ach, du kennst die Neufundländer nicht. Auch wenn er erst zwölf war, er war der Vater von deinem Vater. Aber nicht von meinem. Meine Mutter – deine Großmutter – war Sians Schwester Addy, und als der junge Sian tot war, hat sie sich mit Turvey eingelassen, dem anderen Bruder. Und als der er-trank, hat sie Cokey Hamm geheiratet. Der war mein Vater. Hat jahrelang in dem Haus auf Quoyle’s Point gewohnt – wo ich geboren wurde -, dann sind wir nach Catspaw umgezogen. Als wir 1946 fortgingen, ist mein Vater umgekommen -«
    »Ertrunken«, warf Quoyle ein. Hörte wider Willen zu. Schneuzte sich in die Papierserviette. Die er faltete und auf den Rand seiner Untertasse legte.
    »Nein. Anschließend sind wir zu dem stinkigen Hafen von Catspaw rüber, wo uns diese Meute wie Dreck behandelt hat. Da war ein scheußliches Mädchen, aus ihrer Braue ist eine lila Flechte gewachsen. Hat Steine geworfen. Und dann kamen wir in die Staaten.« Sie sang: »›Terra Nova weint um alle Seelen, die für immer von ihr gehen.‹ Mehr weiß ich von dem Liedchen nicht mehr.«
    Quoyle mochte sich nicht vorstellen, daß sein Großvater ein blutschänderisches, zu Anfällen neigendes, Robben töten-des Kind gewesen war, aber er hatte keine Wahl. Die Geheimnisse einer ungekannten Familie.
     
    Als die Polizei hereinplatzte, blaffte der Fotograf in fleckigen Boxer-Shorts gerade ins Telefon. Quoyles nackte Töchter hatten Spülmittel auf den Boden gespritzt und schlitterten darin herum.
    »Sie sind nicht ersichtlich sexuell mißbraucht worden, Mr. Quoyle«, sagte die Stimme am Telefon. Quoyle konnte nicht erkennen, ob da ein Mann oder eine Frau sprach. »Wir fanden eine Videokamera. Überall lagen leere Filmkassetten herum, aber die Kamera war blockiert oder so. Als die Beamten rein-kamen, war er gerade am Telefon und hat den Verkäufer von dem Laden angebrüllt, wo er die Kamera gekauft hatte. Die Kinder wurden von einer Spezialistin für Kindsmißbrauch untersucht. Sie meint, es gibt keinen Beweis dafür, daß er ihnen körperlich etwas antat, außer daß er sie auszog und ihnen Finger- und Zehennägel schnitt. Aber er hatte eindeutig etwas vor.«
    Quoyle brachte keinen Ton heraus. »Die Kinder sind jetzt bei Mrs. Bailey im Sozialamt«, sagte die mehlige Stimme. »Wissen Sie, wo

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