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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Glitzern, das besagte, daß in Quoyles Leben die Chance auf ein wenig Glanz bestand. Zufriedenheit? Glück? Ruhm und Reichtum? Wer weiß, dachte Partridge. Er selbst mochte den kräftigen Geschmack des Lebens so sehr, daß er Quoyle auch ein oder zwei Mahlzeiten wünschte.
    »Erstaunlich, wie die alten Fäden noch ziehen. Ja, da oben gibt’s ’ne Zeitung. ’ne Wochenzeitung. Und sie suchen nach ’nem Mitarbeiter. Wenn’s dich interessiert, geb’ ich dir den Namen, den ich rausgefunden hab’. Die wollen jemanden für die Rubrik ›Schiffsmeldungen‹. Liegt vermutlich direkt an der Küste. Wollen möglichst jemand mit Verbindungen zur Seefahrt. Quoyle, hast du Verbindungen zur Seefahrt?«
    »Mein Großvater war Robbenjäger.«
    »Mein Gott. Du erwischst mich immer wieder kalt. Jedenfalls wenn’s klappt, dann mußt du dich um Arbeitserlaubnis, Einwanderungsgenehmigung und so weiter kümmern. Handel was aus mit denen. Okay. Der Chefredakteur heißt Tertius Card. Hast du was zum Schreiben? Ich geb’ dir die Nummer. «
    Quoyle schrieb mit.
    »Also dann, viel Glück. Halt mich auf dem laufenden. Und noch was: Wenn du Lust hast, bei mir und Mercalia zu wohnen, dann komm einfach. Hier kannst du wirklich gut Kohle machen.«
    Doch der Gedanke an den Norden ergriff von ihm Besitz. Er brauchte etwas, wogegen er sich wappnen konnte.
    Einen Monat später fuhren sie in seinem Kombiwagen davon. Im Seitenspiegel warf er einen letzten Blick auf das gemietete Haus, sah die leere Veranda, den Forsythienstrauch, die fleischfarbenen Unterhosen des Nachbarn, die an der Wäscheleine flatterten.
     
    Und so saßen Quoyle und die Tante auf dem Vordersitz, die Kinder hinten und die alte Warren bald zwischen den Koffern, bald kletterte sie unbeholfen nach vorn und setzte sich zwischen Bunny und Sunshine. Aus Servietten bastelten sie ihr Papiermützen, banden ihr den Schal der Tante um den haarigen Hals, fütterten ihr Pommes frites, wenn die Tante nicht aufpaßte.
    Über zweitausend Kilometer durch New York, Vermont und schräg nach oben durch die übel zugerichteten Wälder von Maine. Durch Neubraunschweig und Neuschottland auf dreispurigen Autobahnen, Schwierigkeiten auf der mittleren Spur, daß die Tante die Fäuste ballte. In North Sydney öligen Fisch zum Abendessen, und keinen störte es, und am rauhen Morgen die Fähre nach Port-aux-Basques. Endlich.
     
    Quoyle litt auf den Polstern, die Tante schritt auf dem Deck hin und her, blieb ab und zu stehen, um sich an der Reling über das schwappende Wasser zu beugen. Oder stand mit gespreizten Beinen da, die Hände auf dem Rücken verschränkt, das Gesicht im Wind. Die Haare von einem Kopftuch gebändigt, das Gesicht wie ein Stein mit kleinen klugen Augen.
    Mit einem Mann mit Seemannsstrickmütze redete sie über das Wetter. Sie unterhielten sich eine Weile. Jemand anderes, der vorbeischlingerte, sagte: Stürmisch heute, wie? Sie machte sich Sorgen um Warren, die unten im Kombiwagen auf und ab geschaukelt wurde. Konnte nicht wissen, wie ihr geschah. War nie auf See gewesen. Dachte vermutlich, die Welt würde untergehen, und war ganz allein in einem fremden Auto. Der Mann mit der Strickmütze sagte: »Keine Sorge, der Hund verschläft die ganze Überfahrt. Hunde sin’ so.«
    Die Tante hielt Ausschau, sah blaues Land voraus, ihr erster Blick auf die Insel seit fast fünfzig Jahren. Konnte die Tränen nicht zurückhalten.
    »Se kommen nach Hause, wie?« sagte der Mann mit der Strickmütze. »Tjä, da geht’s ein’m so.«
    Dieser Ort, dachte sie, dieser Felsen, neuntausend Kilometer dicht eingenebelte Küste. Gesunkene Schiffe unter gekräuseltem Wasser, Boote, die sich durch Meerengen zwischen eis-verkrusteten Klippen fädelten. Tundra und Ödland, ein Landstrich voll verkümmerter Fichten, welche die Menschen fällten und wegzerrten.
    Wie viele waren hierhergekommen und hatten an der Reling gelehnt wie jetzt sie? Auf den Felsen im Meer gestarrt. Wikinger, die Basken, die Franzosen, Engländer, Spanier, Portugiesen. Angezogen vom Kabeljau, in den Tagen, als Unmengen von Fisch die Schiffe in der Drift auf ihrem Weg zu den Gewürzinseln aufhielten, erwarteten sie Städte aus Gold. Der Matrose im Mastkorb träumte von gebratenem Alk oder süßen Beeren in Bechern aus geflochtenem Glas, sah jedoch krumpelige Wellen, Lichter, die die Reling entlangflackerten. Die Städte bestanden einzig aus Eis, Eisberge mit Kernen aus Beryll, blauen Edelsteinen in weißen Edelsteinen, von denen einige

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