Schiffsmeldungen
das ist?«
Sunshine war mit Schokolade verschmiert und drehte an einer Kurbel, die ein Plastikgetriebe in Gang setzte. Bunny schlief auf einem Stuhl; ihre Augäpfel rollten unter violetten Lidern. Er schleppte sie ins Auto hinaus, drückte sie in seinen heißen Armen und murmelte, daß er sie liebe.
»Die Mädchen sehen ganz wie Feeny und Fanny aus, meine jüngeren Schwestern«, sagte die Tante und nickte heftig. »Sie sehen ganz genauso aus. Feeny ist jetzt in Neuseeland, Meeresbiologin, weiß alles über Haie. Hat sich diesen Frühling die Hüfte gebrochen. Fanny ist in Saudi-Arabien. Hat einen Falkner geheiratet. Muß so ein schwarzes Ding über dem Gesicht tragen. Kommt her, ihr Kleinen, und gebt eurer Tante einen dicken Schmatz«, sagte sie.
Aber die Kinder stürzten sich auf Quoyle, klammerten sich an ihn, wie ein Fallender sich an den Fenstersims klammert, wie ein Strom elektrisch geladener Teilchen eine Lücke überbrückt und einen Stromkreis schließt. Sie rochen nach Spülmittel mit Ringelblumen- und Pfefferminzduft. Die Miene der Tante unergründlich, als sie sie beobachtete. Sehnsüchtig vielleicht.
Quoyle in den Klauen seiner Probleme, sah eine beherzte ältere Frau. Seine einzige weibliche Verwandte.
»Bleib bei uns«, sagte er. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.« Er erwartete, daß die Tante den Kopf schütteln, nein sagen würde, sie müsse zurückfahren, könne keine Minute länger bleiben.
Sie nickte. »Ein paar Tage. Um die Dinge wieder ins Lot zu bringen.« Rieb sich die Hände, als hätte ein Kellner ihr gerade eine Köstlichkeit hingestellt. »Sieh’s doch mal so«, sagte sie. »Du hast eine Chance, noch mal ganz von vorn anzufangen. Ein neuer Ort, neue Leute, neue Aussichten. Klar Schiff. Schau, wenn du neu anfängst, kannst du tun, was du willst. Auf gewisse Weise geht’s mir genauso.«
Ihr fiel etwas ein. »Würdest du gern Warren kennenlernen? « fragte sie. »Warren ist draußen im Auto und träumt von den schönen alten Zeiten.«
Quoyle stellte sich einen tattrigen alten Ehemann vor, aber Warren war eine Hündin mit schwarzen Wimpern und einem eingefallenen Gesicht. Sie knurrte, als die Tante die hintere Tür aufmachte.
»Hab keine Angst«, sagte die Tante. »Warren beißt nie wieder jemand. Sie haben ihr vor zwei Jahren sämtliche Zähne gezogen. «
4
Schiffbruch
»Schiffbruch erleiden: bei einem Unglück über Bord gehen.«
SEEMANNSLEXIKON
Quoyles Gesicht hatte die Farbe einer schlechten Perle. Er saß auf den Sitz einer Fähre gezwängt, die nach Neufundland schlingerte, die Windjacke bis zur Wange hochgezogen, den Ellbogen naß, dort, wo er hineingebissen hatte.
Der Geruch von Meeresfeuchte und Farbe, gekochtem Kaffee. Und kein Entrinnen vor dem Rauschen in den Lautsprechern für die Mitteilungen an die Passagiere, dem Gewehrknattern aus dem Kinoraum. Passagiere, die »Einen Dollar für mich« sangen und über ihrem Whiskey schwankten.
Bunny und Sunshine standen auf den Sitzen Quoyle gegenüber und starrten durch Scheiben in die Spielzimmer. Karmesinrote Kunststoffüberzüge an den Wänden, eine Decke, die Köpfe und Schultern spiegelte wie körperlose Putten auf alten Glückwunschkarten. Die Kinder hatten nur Augen für die Wasserblasenmusik.
Neben Quoyle ein Knäuel vom Strickzeug der Tante. Die Nadeln stachen ihm in die Oberschenkel, aber das war ihm egal. Er war seekrank bis zum Gehtnichtmehr. Auch wenn die Fähre nach Neufundland tuckerte – seine Chance für einen Neuanfang.
Die Tante hatte treffend argumentiert. Was blieb ihm in Mockingburg noch? Arbeitslos, die Frau weg, die Eltern gestorben. Und da war das Geld aus Petals Unfallversicherung.
Dreißigtausend für den Ehegatten und zehntausend für jedes rechtmäßige Kind. An eine Versicherung hatte er nicht gedacht, aber der Tante war sie sofort in den Sinn gekommen. Die Kinder schliefen, Quoyle und die Tante saßen am Küchentisch. Die Tante in ihrem weiten lila Kleid, die aus einer Teetasse einen Schluck Whiskey trank. Quoyle mit einer Tasse Ovomaltine. Damit er besser einschlafen könne, sagte die Tante. Blaue Schlaftabletten. Es war ihm peinlich, aber er schluckte sie. Völlig abgebissene Fingernägel.
»Es ist sinnvoll«, sagte sie, »daß du an einem anderen Ort ein neues Leben anfängst. Den Kindern und auch dir zuliebe. Damit würdet ihr alle leichter über das Geschehene wegkommen. Man braucht nämlich ein Jahr, einen ganzen Kalender-lauf, um über den Verlust von jemand
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