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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Montgomery, Alabama, an.
    »Ich bin hier unten in Alabama, und keiner, nicht mal der Barkeeper, weiß, wie man einen Alabama Slammer macht.« Quoyle hörte das Gebrabbel und Gelächter in der Bar. »Also paß auf, geh in die Küche und schau oben auf dem Kühlschrank, wo ich den Mr. Boston habe. Hier unten haben sie nur ’ne alte Ausgabe davon. Schau den Alabama Slammer für mich nach. Ich bleib’ dran.«
    »Warum kommst du nicht heim?« bettelte er mit seiner jämmerlichen Stimme. »Ich mach’ dir einen.« Sie erwiderte nichts. Das Schweigen zog sich in die Länge, bis er das Buch holte und das Rezept vorlas, während die Erinnerung an den kurzen Monat der Liebe, als sie in seinen Armen gelegen hatte, die heiße Seide ihres Slips, ihm durch den Kopf flog wie ein verfolgter Vogel.
    »Danke«, sagte sie und legte auf.
    Es kam zu scheußlichen kleinen Zwischenfällen. Manchmal tat sie so, als würde sie die Kinder nicht wiedererkennen.
    »Was macht das Kind da im Bad? Ich bin gerade rein, um mich zu duschen, und da sitzt ein Kind auf dem Pott! Wer zum Teufel ist das Mädchen überhaupt?« Der Fernseher rasselte vor Gelächter.
    »Das ist Bunny«, erwiderte Quoyle. »Das ist unsere Tochter Bunny.« Er quälte sich ein Lächeln ab, um ihr zu zeigen, daß er wußte, daß es nur ein Witz war. Über einen Witz konnte er lachen. Das konnte er.
    »Mein Gott, ich hab’ sie nicht erkannt.« Sie brüllte in Richtung Badezimmer. »Bunny, bist das echt du?«
    »Ja.« Eine kampflustige Stimme. »Es gibt noch eins, oder? Na ja, ich bin hier weg. Brauchst vor Montag oder so nicht nach mir zu suchen.«
    Es tat ihr leid, daß er sie so verzweifelt liebte, aber das war’s.
    »Schau mal, es hat keinen Zweck«, sagte sie. »Such dir ’ne Freundin – es laufen genug Frauen rum.«
    »Ich will bloß dich«, sagte Quoyle. Kläglich. Bettelnd. Leckte seinen Hemdsärmel.
    »Das einzige, was hier noch hilft, ist die Scheidung«, sagte Petal. Er zog sie hinunter. Sie warf ihn um.
    »Nein«, stöhnte Quoyle. »Nicht die Scheidung.«
    »Dann deine Beerdigung.« Die Iris ihrer Augen silbrig im Sonntagslicht. Der grüne Stoff ihres Mantels wie Efeu.
    Eines Abends löste er im Bett ein Kreuzworträtsel, hörte Petal heimkommen, hörte das Fließen von Stimmen. Kühlschranktür auf und zu, Klirren der Wodkaflasche, Geräusch des Fernsehers und nach einer Weile Quietschen, das Quietschen des Schlafsofas im Wohnzimmer und das Aufstöhnen eines Fremden. Die Rüstung aus Gleichmut, mit der er seine Ehe schützte, war zerbrechlich. Selbst nachdem er die Tür hinter dem Mann hatte zugehen und ein Auto wegfahren hören, stand er nicht auf, sondern blieb auf dem Rücken liegen, während die Zeitung bei jedem Heben seines Brustkorbs raschelte, ihm die Tränen in die Ohren hinabrannen. Wie konnte etwas, was andere Menschen in einem anderen Zimmer taten, ihm solches Leid zufügen? MANN AN GEBROCHENEM HERZEN GESTORBEN. Seine Hand wanderte zu der Dose Erdnüsse neben dem Bett.
    Am Morgen starrte sie ihn an, aber er sagte nichts, stolperte mit dem Saftkrug in der Küche herum. Er setzte sich an den Tisch, die Tasse in seiner Hand wackelte. Seine Mundwinkel weiß vor Erdnußsalz. Ihr Stuhl scharrte. Er roch ihr feuchtes Haar. Wieder kamen die Tränen. Schwelgt im Elend, dachte sie. Man braucht sich bloß seine Augen anzusehen.
    »Ach, um Gottes willen, werd erwachsen«, sagte Petal. Ließ ihre Kaffeetasse auf dem Tisch stehen. Die Tür knallte.
    Quoyle glaubte an stummes Leiden, erkannte nicht, daß es aufreizte. Er bemühte sich, seine Gefühle abzutöten, sich anständig zu benehmen. Eine Liebesprobe. Je stechender die Schmerzen, desto größer der Beweis. Wenn er es jetzt ertrüge, wenn er es aushielte, würde am Ende alles gut werden.
    Doch die Umstände umschlossen ihn wie die sechs Seiten eines Metallkastens.

3
    Strangulierknoten
    »Der Strangulierknoten ... wird erst lose gebunden und dann fest zusammengezogen.«
     
    DAS ASHLEY-BUCH DER KNOTEN

    Es kam ein Jahr, da dieses Leben jäh herumgerissen wurde. Stimmen über die Leitung, das Knirschen von zusammengedrücktem Stahl, Feuer.
    Mit seinen Eltern fing es an. Erst der Vater, bei dem Leberkrebs diagnostiziert wurde, ein Aufflammen wild wuchernder Zellen. Einen Monat später hängte sich ein Tumor wie eine Klette ans Gehirn der Mutter, schob ihr Denken auf einer Seite zusammen. Der Vater gab dem Elektrizitätswerk die Schuld. Von den Türmen im Norden her trafen sich in zweihundert Meter Entfernung

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