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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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eigentlich Massel war.
     
    Gegen Ende des Frühjahrs rief Ed Punch Quoyle zu sich ins Büro, sagte ihm, er sei gefeuert. Aus seinem kaputten Gesicht heraus schaute er an Quoyles Ohr vorbei. »Es ist mehr eine Art Arbeitspause. Wenn es später hier wieder besser läuft ... «
    Quoyle fand eine Teilzeitstelle als Taxifahrer.
    Partridge wußte, warum. Überredete Quoyle, eine riesige Schürze anzuziehen, gab ihm einen Löffel und ein Senfglas. »Seine Kinder sind von der Uni da. Die haben deinen Job gekriegt. Kein Grund zum Weinen. Ja, genau so, streich den Senf übers Fleisch. Laß ihn einziehen.«
    Im August sagte Partridge, als er gerade Dill für ein russisches Rindsgeschnetzeltes mit Essiggurken schnitt: »Punch will dich wiederhaben. Wenn’s dich interessiert, sollst du am Montag morgen kommen.«
    Punch zierte sich. Machte viel Aufhebens, als täte er Quoyle mit seiner Wiedereinstellung einen besonderen Gefallen. Vorübergehend.
    In Wahrheit war Punch aufgefallen, daß Quoyle zwar selbst wenig redete, andere aber zum Reden anregte. Sein einziger Trumpf im Lebensspiel. Seine aufmerksame Haltung, sein schmeichelhaftes Nicken lösten Sturzbäche von Meinungen, Erinnerungen, Reminiszenzen, Theorien, Einschätzungen, Darlegungen, Resümees und Erklärungen aus, preßten aus Fremden die Geschichte ihres Lebens heraus.
    Und so ging es weiter. Gefeuert, Job in einer Autowaschanlage, wiedereingestellt.
    Gefeuert, Taxifahrer, wiedereingestellt.
    Hin und her fuhr er, landauf und landab, hörte sich das Gerangel von Abwasserkomitees und Straßenbaukommissionen an, meißelte aus Etats zur Brückenausbesserung Geschichten heraus. Die kleinen Entscheidungen örtlicher Behörden kamen ihm wie das verborgene Wirken des Lebens vor. In einem Beruf, der seine Adepten in der Niedertracht der menschlichen Natur unterwies, der das korrodierte Metall der Zivilisation bloßlegte, zimmerte Quoyle sich seine persönliche Illusion von geordnetem Fortschritt. In einer Atmosphäre von Vereinzelung und schwelender Eifersucht träumte er von vernunftbestimmten Kompromissen.
     
    Quoyle und Partridge aßen Forelle blau und Knoblauchgarnelen. Mercalia war nicht da. Quoyle schleuderte den Fenchelsalat. Bückte sich gerade, um eine hinuntergefallene Garnele aufzuheben, als Partridge mit dem Messer gegen die Weinflasche hämmerte.
    »Bekanntmachung. Betreffend Mercalia und mich.« Quoyle grinste. Erwartete zu erfahren, daß sie ein Kind bekäme. Setzte sich bereits als Patenonkel ein.
    »Wir ziehen nach Kalifornien. Reisen am Freitag ab.« »Was?« sagte Quoyle. »Der Grund: die Rohstoffe«, sagte Partridge. »Wein, reife Tomaten, Avocados.« Er goß sich Fumé blanc ein und erzählte Quoyle, der eigentliche Grund sei Liebe, nicht Gemüse. »Alles, was zählt, passiert aus Liebe, Quoyle. Sie ist der Motor des Lebens.«
    Mercalia habe ihre Doktorarbeit hingeschmissen, sagte er, würde jetzt auf Arbeiterin machen. Reisen, Cowboystiefel, Geld, das Zischen der Luftdruckbremsen, vier Lautsprecher in der Kabine und das Uptown String Quartet aus dem Kassettendeck. In der Fernfahrerschule eingeschrieben. Summa cum laude abgeschlossen. Der Overland Express in Sausalito habe sie eingestellt.
    »Sie ist die erste schwarze Truckfahrerin Amerikas«, sagte Partridge und blinzelte unter Tränen. »Wir haben schon eine Wohnung. Die dritte, die sie sich angeschaut hat.« Die habe, sagte er, eine Küche mit Fenstertüren, himmlischen Bambus als Schattenspender im Hof. Einen Kräutergarten, so groß wie ein Gebetsteppich. Wo er sich hinknien würde.
    »Sie hat die Strecke nach New Orleans. Und ich geh’ mit. Mach’ ihr Sandwiches mit geräucherter Ente, kalte Hühnerbrüstchen mit Estragon, für unterwegs, damit sie nicht in Raststätten geht. Ich will Mercalia nicht in den Fernfahrerkneipen haben. Werd’ Estragon ziehen. Irgend’nen Job find’ ich schon. Korrektoren gibt’s nie genug. Krieg’ überall ’nen Job.«
    Quoyle versuchte, ihm zu gratulieren, schüttelte Partridge schließlich unentwegt die Hand, konnte nicht mehr loslassen.
    »Hör mal, besuch uns doch«, sagte Partridge. »Wir bleiben in Verbindung.« Und noch immer schüttelten sie einander die Hand, pumpten Luft, als holten sie Wasser aus einem tiefen Brunnen.
     
    Quoyle steckte in dem heruntergekommenen Mockinburg fest. Ein Ort, der zum drittenmal starb. Innerhalb von zweihundert Jahren wurden aus Wäldern und Waldvölkern Bauernhöfe, eine Arbeiterstadt mit Werkzeugmaschinen- und

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