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Schiffstagebuch

Schiffstagebuch

Titel: Schiffstagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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Dolchen, Fetzen, noch weinend vom Tau, der bereits zu dampfen beginnt. Tief unten der Fluß. In diesen fünf Jahren hat er keine Sekunde stillgestanden, ich hätte genausogut bleiben können. Er wird mir heimzahlen, daß ich dachte, ich könnte durch die Welt gondeln, er rauscht wie toll, hat nicht vor, je damit aufzuhören, er muß das Tal auswaschen, hat einen Auftrag, ist beschäftigt. Ich lasse dieses Geräusch in mich hineinfließen und spüre, wie die Reise hierher langsam von mir geschält wird. Jetzt kehrt auch der Gedanke aus meinem Traum wieder zurück: Gibt es eine Archäologie der Bewegungen? Wie alt ist die Bewegung, in der eine Frau einen Opferkorb voller Früchte auf ihren Kopf hebt? Sie ist in Sarong und Kabaja gekleidet, golddurchwirkt, ihre Haut glänzt, sie verläßt ihr Haus und schließt sich den anderen Frauen an, gemeinsam bilden sie eine Prozession, jede Frau hat in der gleichen Bewegung die Opfergaben emporgehoben, jetzt sind sie auf dem Weg zu ihrem Gott, sie müssen ihn ehren oder feiern oder Unheilbeschwören. Der Fremde weiß das nicht genau, doch das Bild genügt, er hat sie gesehen, er hat dieses Bild in seinem Archiv gespeichert, und es ist mit dieser Frage in seinen Halbschlaf zurückgekehrt. Ist die Bewegung so alt wie der Gott? Wie alt aber ist der Gott? Wenn Sie das wissen wollen, dann fragen Sie doch, wie alt der Tempel ist. Den Gott gab es freilich schon lange vor dem Tempel, und vielleicht gab es vor diesem Tempel bereits einen anderen. Bewegungen können nicht versteinern, sie müssen lediglich stets von neuem vollführt werden, ihre Geschichte ist uralt, doch ihre Archäologie trägt keine Jahreszahl. Es sind die gleichen, aber andere Frauen, die der Fremde gesehen hat, er hat in die Zeit geschaut, vielleicht ist ihm ein wenig schwindlig. Wiederholung ist ein Versuch der zyklischen Zeit, in die Nähe der Ewigkeit zu gelangen, an manchen Orten gelingt das besser als an anderen.
    Staubig war es gestern abend in Ubud. Das Taxi war vom Flughafen in Denpasar hierher gefahren, das sind die Augenblicke, in denen eine Reise sich gegen einen kehren kann, dieses Gefühl kannte ich, der Schwarm lärmender Motorroller links und rechts, neue Gebäude, die aussehen wie alles im Rest der Welt, Stumpfsinn, und dann mit einemmal, als wir nach Ubud kamen, diese Frauenprozession, die von der Straße abbog. Das Taxi gebeten, anzuhalten, an das Brückengeländer getreten und gesehen, wie die Frauen am Fluß entlanggingen, ihre Farben, ihr tänzelnder Gang, ihr leises Reden, ihre Unbeirrbarkeit im Gewühl, die aufgetürmten Früchte, die dem Gott dargebracht würden.
     
    Wann hört man ein Wort zum erstenmal? In der Schule mußten wir dies metrisch herunterleiern können: Java /  Sumatra /  Borneo /  Celebes /  Bali /  Lombok /  Sumba /  Sumbawa /  Timor, halb portugiesisch . Letzteres bedeutete, daß eine
     dieser Inseln zur Hälfte nicht uns Niederländern gehörte, sondern den Portugiesen, alle anderen jedoch hatten auf eine nicht ganz klar ersichtliche Weise
     mit einem selbst zu tun, sie gehörten uns . Ich kann mich nicht erinnern, daß ich bei diesem Gedanken etwas empfand. Bilder in Schulbüchern vom
     Borobudur, mit graziösen Gestalten unter Palmen, Wörter, die sich zum erstenmal im Gehirn einnisteten und nie mehr daraus verschwinden sollten: tuan , dessah , bandjir , sarong , sawah , nasi , später, nach dem Krieg, finden die sogenannten Polizeiaktionen
     statt, die nichts weiter als ein Kolonialkrieg waren, es folgt die erste Lektüre von »Kolonial«-Literatur, Couperus, Székely-Lulofs, Daum, Friedericy,
     Dermoût, Multatuli, Breton de Nijs 1 – langsam nimmt, was im Verschwinden begriffen ist, Kontur an, es hat eine
     ganze Welt gegeben, die, endlos weit entfernt, zu einem gehört hatte und jetzt rasend schnell aus der Geschichte verschwand. Neue Namen, Sukarno, Hatta,
     Linggadjatti, eine fast in Tränen aufgelöste Königin Juliana, die alle diese Inseln auf einmal Menschen überträgt, die eben noch als Terroristen
     bezeichnet wurden – es war, als nähme sie diesen »Smaragdgürtel« öffentlich ab und legte ihn auf den Tisch, ihr Gesicht ist dabei benetzt, bleich, sie
     wirkt wie in Trance, vielleicht dachte sie an die Worte Multatulis, die sie zweifellos irgendwann gelesen hatte und in denen ihr Urgroßvater noch »Kaiser
     von Insulinde« geheißen hatte. Es zeigt sich, daß »Indienverloren, Unheil geboren« eine leere Phrase war, die Niederlande

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